„Wie läufts beim Fußball?“, fragte Frau Life Science einmal ihr neunjähriges Patenkind.
„Sehr gut“, ließ sie der Junge mit großer Gelassenheit wissen, „mit meiner Karriere im Fußball läuft es sehr gut“.
Bei so einer Antwort kann einem nur das Herz aufgehen. Diese kindliche Unbeschwertheit, dieses natürliche Selbstbewusstsein. Bravo, Patenkind!
Fußball im Grundschulalter ist ja so eine Sache. Kinderfußball in der Großstadt erst recht.
Wohl dem, der sich schon in der Kindergartenzeit einem Verein annähert (Danke, liebe S., fürs Mitnehmen damals). Dann ist er vielleicht in der Grundschule schon irgendwie „drin“‘ und rutscht weiter, von FUNiño zu „richtigem“ Fußball.
Plätze im Vereinsmannschaften sind rar, denn jeder zweite Junge und manches Mädchen will ja zum Fußball. Dem stehen begrenzte Flächen und zu wenig Trainer gegenüber.
Breitensport ohne Leistungsambitionen wird auf ehrenamtlicher Basis vermittelt und Ehrenamt ist so rar wie Anwohnerparkplätze. Verdammte Großstadt.
Wer sich in DIESER Stadt zwei- bis dreimal pro Woche nachmittags unbezahlt um mittelmäßig kickende Kinder kümmert, mit dem muss eigentlich irgendwas nicht stimmen, fürchtete Frau Life Science schon immer.
Um so glücklicher war sie, als sich in der vorletzten Saison nach langer Überlegung ein Vater breitschlagen ließ, die Mannschaft vom Forschernachwuchs und die seines eigenen Sohnes zu trainieren.
Bojan. Berliner durch und durch, von Neukölln geprägt, kroatische Wurzeln, Hochschulabschluss, Fußballfimmel, Lässigkeit. Als er einmal mit Familie und Fahrrad angeradelt kam, trug keiner der 8 bis 48-jährigen einen Helm. Frau Life Science wurde klar: nicht vergessen, sondern Helme nicht im häuslichen Bestand. Helmfreie Fanilien-Fahrradtour, das ist ein Statement in Steglitz-Zehlendorf.
Man freute sich gewaltig über Bojans Bereitschaft und die Sache nahm ihren Lauf. Man hat nun eine App, einen Chat, und ein Stück Kunstrasen. Was man nicht hat: eine Halle im Winter. Keine abbekommen. Der Forschernachwuchs trainiert bei jedem Wetter draußen (2.5 h) ohne groß zu meckern.
Überhaupt muss man was wegstecken können im Fußball. Haushoch verlieren zum Beispiel. Oder nie zum Spiel aufgestellt werden, obwohl man immer zum Training kommt.
„Hier sind deine Turnschuhe von letzter Woche“, sagte der Bojan einmal zu einem Achtjährigen, „es ist das letzte Mal, dass ich sie dir nachtrage, das nächste Mal landen sie im Mülleimer“. Wie eine leere Drohung klang das nicht.
Es könnte jedoch sein, dass das betroffene Kind künftig an seine Schuhe denkt. Es könnte auch sein, dass die Sechstklässler, die Frau Life Science im Sommer nach drei Jahren aus der Grundschule entlässt, von aller Rücksicht, allem Verständnis, und aller Pädagogik des in die Bresche Springens, sich nichts kaufen können. Fit für die Krisengesellschaft? Noch lange nicht.
Man muss wegstecken beim Fußball, auch als Eltern. An einem schönen Frühlingswochenende poppten im Elternchat plötzlich Fotos von der Mannschaft auf, also von Teilen der Mannschaft, die einen Pokal in die Höhe hielten. In einer Turnhalle. Juhuu! Nur was wurde gewonnen? Und wo, wieso, warum? Der Trainersohn war auf dem Bild zu sehen, der Ko-Trainersohn und der Sohn vom Ersatz-Ko-Trainer sowie ein paar andere Sportskanonen. Aber ein beträchtlicher Teil der Mannschaft wusste in wahrsten Sinne nicht, was gespielt wurde.
Dass der Trainer für Spiele und Turniere nur die Leistungsstärksten aufstellte, und manche Spieler der generell viel zu großen Mannschaft immer zuhause bleiben mussten, war bereits bekannt und sorgte immer wieder für eine schlechte Grundstimmung in der Mannschaft. Geheim-Turniere waren jedoch jetzt neu.
Berliner Nepotismus, sagte der Lifescientist.
Es habe alles seine Richtigkeit, wie das abgelaufen sei, wegen Trainingsausfall durch Schnee habe er es nicht besprechen können, schrieb Bojan in einer Rundmail, und er mache das hier ehrenamtlich, man könne mal dankbar sein aber alle Eltern würden nur meckern.
Es ist zum Davonlaufen, denn eigentlich kann es gar nicht funktionieren. Pädagogisches Denken und Werte-Orientierung der Lichterfelder Elternschaft trifft auf Fußball. Also der hat auch Werte, aber andere. Wettbewerb, Leistung, Gewinnen versus Gemeinschaft, Individualität und Chancengleichheit.
Es gibt aber eines, was werteorientierte Eltern noch höher werten als ihre Werte: der unbedingte Kindeswille. Das Kind möchte meist im Verein Fußball spielen. Und deshalb wird allseits weiter hingefahren, die App gecheckt, die Ausrüstung gewaschen und gepflegt, Tränen getrocknet und was sonst dazugehört. Auch wenn man längst die Schnauze voll hat.
Vielleicht hätte man seinem Kind einen Nischensport suchen sollen. Prellball oder so etwas. Dann hieße es vielleicht: „Schön, dass ihr da seid. Bringt nächstes Mal gerne ein paar Freunde mit und hier sind noch zwei linke Schuhe, eine Trinkflasche ohne Deckel und ein Trikot. Vermisst die jemand?“