Vom WIE zum OB

Die noch sehr oder zu junge Frau Life Science hat früher einmal die Ausbildung zur Erzieherin absolviert. In damals zwei Jahren schulischer Ausbildung und einem Anerkennungsjahr hatte sie gelernt oder lernen sollen, wie man Menschenkinder jeden Alters gut im Leben begleitet.

Dazu gab es verschiedene pädagogische Ansätze, die man kennen und verstehen sollte: Waldkindergarten, nicht zu verwechseln mit Wald-Orf-Kindergarten, Reggio-Pädagogik, Montessori oder gar „Spielzeugfreier Kindergarten“. Da muss man ja auch erstmal drauf kommen: Jeden Tag was wegräumen und am Schluss spielen die Kinder glücklich mit Stöcken und Steinen.

„Nach welchem Ansatz arbeiten die Soundsos?“ …“Sie stellen gerade um auf…“ waren damals typische Gesprächsthemen in Kreisen der Frau Life Science.

Manch eine Einrichtung grub schon mal gemeinschaftlich ihr Außengelände um, nicht weil etwas kaputt war, sondern um die Anlage stimmiger zu machen, einem bestimmten Konzept folgend.

Bei der ganzen Pädagogik ging es überhaupt immer um das „Wie“. Man saß zusammen, entwickelte, plante und bildete sich fort für dieses große „Wie“.

Seit Frau Life Science selber Kinder hat, geht es in der Elementarpädagogik nicht länger um das WIE, sondern nur noch um das „OB“.

Das hängt damit zusammen, dass eine neue Ausrichtung frühkindlicher Erziehung die bisherigen zunehmend verdrängt, und zwar der „Notpädagogische Ansatz“.

Dieser wird vom Senat gefördert und von der Gesamtgesellschaft in weiten Teilen befürwortet.

Das Konzept beinhaltetet im Wesentlichen, dass die Nutzung der Einrichtung unter dem Not“-Paradigma täglich neu unter Vorbehalt steht. Wird das Kind betreut? Ja, nein, vielleicht?

Beim notpädagogischen Ansatz ist aus konzeptionellen Gründen jede Regelmäßigkeit unbedingt zu vermeiden. So oft wie möglich sollten Bezugspersonen, Zeiten, Räume und Kinder variiert werden. Nur so kann dieser Ansatz seine volle Wirkung entfalten. Es muss täglich neu die Atmosphäre des Provisoriums und der Improvisation geschaffen werden.

Ein Beispiel für eine besonders gelungene Umsetzung des notpädagogischen Ansatzes ist diese Info aus einer handschriftlichen Liste an der Kita-Tür:

Leonie wird heute, abweichend von gestern und morgen, bei den Schmetterlingen von der Erzieherin der Regenwürmer in den Räumlichkeiten der Eichhörnchen betreut.

So wird das Kind es auf den flexiblen Grundschul-Besuch optimal vorbereitet.

Dabei ist dem Kind unbedingt das Gefühl zu geben, es wäre besser abwesend. Ideal ist es, wenn Elternhaus und Betreuungseinrichtung hier an einem Strang ziehen und es beide gleichermaßen schaffen zu vermitteln: „Du, liebes Kind, machst uns zu viel Arbeit.“

Sogenannte Morgenkreise sind in der Notpädagogik nicht vorgesehen oder erwünscht. Das althergebrachte gemeinsame Singen, Besprechen der Wochentage sowie des Wetters und „Bello, wo ist dein Knochen“-Spiel ist überholt. Notpädagogik und Stuhlkreis schließen sich gegenseitig aus.

Zum notpädagogischen Ansatz gehört aber noch mehr. Neulich wollte Frau Life Science in der Kita anrufen. Die eigene Gruppe war ja konsequenterweise nicht im Betrieb, die Nummer der Ersatzgruppe war nicht bekannt und das Büro nicht besetzt. Im Elternchat wussten sie auch nichts. Aber wer mit ErzieherInnen telefonieren will, während sie das eigene Kind beaufsichtigen, der hat den notpädagogischen Ansatz einfach noch nicht verstanden. Auch umgekehrt ist die Kontaktmöglichkeit eher fraglich.

Die qualifizierte Elternarbeit ist jedoch eine wichtige Säule des genannten Erziehungskonzepts. Leitfragen sind hier hauptsächlich folgende:

  • Können Sie ihr Kind später bringen?
  • Können sie es früher holen?
  • Können sie es zuhause betreuen?
  • Möchten Sie ein Entwicklungsgespräch oder können wir es auch lassen – von uns aus ist nichts?

Der notpädagogische Ansatz leistet seinen ganz individuellen Beitrag zu einer zeitgemäßen Gesellschaftsausrichtung. Entrechtung der Kinder, Unterdrückung von Frauen, Verringerung des Bildungsniveaus und der Sozialkompetenz gehören da unbedingt dazu.

Das Beste an dem notpädagogischen Ansatz ist – und dies macht ihn konkurrenzlos attraktiv: er kostet NICHTS. Kein Geld, keine Reformen und keine Mühen.

Er stellt sich von selbst ein, wenn genug Leute einfach nichts machen. So einfach ist das.

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