Üblich ist es nicht in Bloggersdorf, aber Frau Life Science muss nochmal von der Kirche schreiben. Nein, sie ist nicht aus lauter Einsamkeit in der großen fremden Stadt einer Sekte verfallen und das hier wird bestimmt kein Bekehrungsblog. Aber Frau Life Science findet es einfach schön, alle paar hundert Meter einen evangelischen* Kirchturm und um diesen herum einen Haufen kulturelle und Freizeitangebote für Familien zu finden, die herrlich unkommerziell sind und das gewisse Etwas haben.
Die Kirchengemeinde, zu der der Kindergarten des Forschernachwuchses gehört, stellt den Eltern beispielsweise jeden Donnerstag kostenlos einen schönen hellen Raum zur Verfügung, wo sich Eltern nachmittags mit den Kindern treffen können.Eine Mutter, die gerade vor ihrem beruflichen Wiedereinstieg noch etwas Zeit erübrigen kann, organisiert das Ganze. Niemand fragt, ob bei dem Zusammenkünften biblische Fragen diskutiert oder schlicht und einfach privat gequatscht wird. Es gibt ein sauberes WC, eine professionell ausgestattete Küche, verschiedene Spielsachen, ebenerdiger Zugang zu einem Spielplatz und Alpakas, die zum Zaun kommen. Vergleichbares kann man in New York lange suchen.
Dieselbe Kirchengemeinde lud dieser Tage zum gemeinsamen Singen am Lagerfeuer ein. Das Plakat entdeckte Frau Life Science an einem der Donnerstagstreffen. Eintritt frei, man möge etwas fürs Buffet mitbringen.
Lagerfeuer? Da ist Familie Life Science gleich dabei! Ein Erziehungsratgeber, den Frau Life Science einmal überflogen hatte, hielt das Prinzip Lagerfeuer übrigens für einen der besten Wege, das Familienleben zu entschleunigen. Besorgen Sie eine Feuerschale, hieß es sinngemäß, eventuell eine Genehmigung von der Stadt und sagen Sie den Nachbarn Bescheid, sie mögen alle vorbeikommen. Irgendjemand könne bestimmt auch Gitarre spielen. Und dann: singen, erzählen und ins Feuer gucken. Was Menschen schon immer gemacht haben. So käme viele Dinge in der gestressten Familie in Ordnung und alle würden wieder viel zufriedener.
Der Regen hatte sich rechtzeitig verzogen. Das kirchliche Lagerfeuer loderte in einer Schale auf der Gemeindewiese mitten im Wohngebiet, in Sichtweite zu Straße und Gehweg. Rauch stieg auf und Glockengeläut erklang.
Als leitende Musiker traten der Pfarrer an der Gitarre, ein Akkordeonspieler und ein Sänger auf. Ein paar Kinder, darunter der Forschernachwuchs, hüpften herum, obwohl die Veranstaltung erst um 19.00 Uhr begann.
Den Gemeindepfarrer halten manche Kinder, so ist es Frau Life Science zu Ohren gekommen, für keinen geringeren als Gott selbst. Nicht dass er irgendetwas Rauschebärtiges an sich hätte. Aber man sieht einmal mehr: Kinder schnallen oft alles, manchmal aber auch einfach nichts. Denn wie sollte es möglich sein, dass Gott regelmäßig in den Kindergarten kommt und dort von sich ausschließlich in der 3. Person spricht? Die Kleinen haben den Pfarrer wohl nur neugierig angeglotzt und ansonsten die Ohren auf Durchzug gestellt. Finden den Gott aber wahrscheinlich ganz nett. Das nennt man dann Religionspädagogik.
Der überschätzte Pfarrer verteilte Liedblätter, auf denen „Laudato si“ neben „Ein Mann, der sich Columbus nannt“ auf ein und derselben Din A4 – Seite abgedruckt waren. Es wurde ein angenehmer und völlig zwangloser Abend.
„Gehen wir mal wieder zu einem Lagerfeuer?“, fragte der Forschernachwuchs nicht nur einmal.
Wenige Tage später fand wieder mal Familienkirche in der anderen Gemeinde statt. Weil Muttertag war, sang ein Väter-Kinderchor, der ein paar Wochen zuvor ins Leben gerufen worden war. Frau Life Science hatte ernsthaft überlegt gehabt, den Lifescientisten dort einzuschleusen, und war heilfroh, dass sie es – aus terminlichen Gründen – nicht getan hatte. Dieser Väter-Kinderchor hier sang eindeutig in einer anderen Liga und es wurde offensichtlich: der Bildungsstand in diesem Viertel ist auch und gerade im musikalischen Bereich hoch. Nichts mit einfach dazu stehen und den Mund bewegen, wie Frau Life Science sich das ausgemalt hatte.
Ein weiteres Highlight der gemeindlichen Rosinenpickerei der letzten Wochen war die „Mandeltorte Capri“. Ein fröhlicher Senior steuerte sie zum Kirchencafé nach dem Sonntagsgottesdienst bei. Der ältere Herr mit dem Faible fürs Backen hielt die Kuchenform die ganze Kaffeerunde über im Leinenbeutel auf dem Schoss um sie später bloß nicht versehentlich liegen zu lassen. Dabei sonnte er sich (verdient) in Lob und Komplimenten. Das Rezept gäbe es nur handschriftlich und sei ihm von einer alten Freundin im Jahre 68 übermittelt worden. Das alles erfuhr Frau Life Science in Begleitung ihrer Schwester, die es immer und überall schafft, mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch zu kommen, natürlich auch in Berlin und in der Kirche sowieso. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ein echter Geheimtipp sind übrigens auch Gemeindefeste. Nirgendwo sonst finden sie leckeres Essen in Spielplatznähe, Kinderschminken, selbst gebackenen Kuchen, auch zum mit nach Hause nehmen, sowie handgemachte Marmelade und individuelle Grußkarten zu Spottpreisen.
Das alles ist natürlich Geschmacksache. Man kann sich auch anders amüsieren. Frau Life Science wird sich aber gerne weiter weiter die kirchlichen Rosinen rund um ihren Wohnsitz herauspicken. Manchmal hat sie ein schlechtes Gewissen, dass sie sich nicht selbst engagiert. Kommt vielleicht irgendwann. Aber es muss auch jemand die Marmelade kaufen und wertschätzen, die ein anderer gekocht hat. Das braucht es eben auch.
*evangelisch = ohne Papst, ohne allgemeinen Zölibat, dafür mit Frauen in leitender Position.
Ich schreib´s nur, meint Frau Life Science, weil viele Medien etc. nur noch von „der“ Kirche sprechen, so ganz allgemein, und das ist irreführend.