Aus dem Leben einer MAV

„Oh je“, sagt eine Freundin, als sie von der neuen Aufgabe als Mitarbeiter:innenvertreterin erfährt „hoffentlich kommst du da nicht in Schwierigkeiten…“

„Vielleicht schon, aber ich muss das machen“, sagt Frau Life Science, „Ich muss einfach.“

Irgendwann war es nämlich plötzlich gekippt: Von Ich doch nicht! – Kann ich nicht! und Keine Zeit! – zu Wer, wenn nicht ich? Wie so ein Prophet.

Und jetzt ist Frau Life Science offiziell im Amt als qualifizierte Nervensäge nach dem Mitarbeitendenvertretungsgesetz MVG-EKD. Unversehens sitzt sie nun mit den Chefs und den Nervensägen-Mitstreitern (die sich auch gerne mal untereinander nerven) im Büro und sichtet neue Stundenpläne. Die sind nämlich mitbestimmungspflichtig gemäß §40 MVG-EKD.

Nicht, dass Frau Life Science mit ihrer Hirnstruktur besonders geeignet wäre, sich überlagernde Pläne zu überblicken, aber sie ist ja nicht alleine. Sie hält sich da gepflegt zurück (reißt an anderer Stelle ihre Klappe auf) und manches blickt sie eben doch.

Der Knackpunkt sind, das ist schon mal klar, die Lücken im Stundenplan (wer hat zu viele?), die unentgeltlichen Bereitschaftszeiten für Vertretungen (sind sie gerecht verteilt?), die ersten und nullten Schulstunden (kann nicht jede:r ableisten), die Anrechnungsstunden (wie ist der Mangel zu verwalten?) sowie die Befristungen und Entfristungen.

Anrechnungsstunden sind übertrieben knapp. Zeiterfassung wird den Lehrkräften ja weiterhin umgesetzlich vorenthalten und fast alles, was über den Fachunterricht hinausgeht, wird daher an jeder Schule mit zu wenigen Abrechnungsstunden untervergütet oder mit gar keinen Anrechnungsstunden zum Privatvergnügen der Lehrperson erklärt.

Kein Wunder, klappt vieles nicht in den Bildungsinstitutionen. Warum sollte man als Mitarbeiter:in irgend etwas Zusätzliches koordinieren oder verwalten wollen, wenn die Arbeitszeit dafür weder monetär noch durch Entlastung an anderer Stelle honoriert wird? Zumal sich die Hauptaufgabe ganz von selbst immer mehr ausdehnt?

Zurück zur neuen Rolle. Frau Life Science hat im Schulbetrieb immer schon von vielem Notiz genommen, die Schule war immer mehr als ein Arbeitsplatz. Teils konnte sie die Namen der neuen Kolleg:innen besser (wie heißt die Dunkelhaarige doch gleich) als manche Vollzeitkraft. Es interessierte sie immer viel mehr als das neueste Freiarbeitsmaterial oder der Worksheet-Crafter. Sie hat generell ein Interesse am ganzen Haus und dem Zusammenwirken, ohne jede Chefinnen-Ambitionen.

Und die hat einen Blick für Problemstellen. Sie wollte, es wäre nicht so, aber sie sieht halt, was sie sieht.

Und jetzt ist sie Teil des MAV-Teams und ihr Betriebswissen wächst. Wer hat welche Krankheit, wer hat welchen Vertrag und wer wurde gerade frisch eingestellt. Von A wie Altersermässigung bis Z wir Zipperlein. Frau Life Science weiß mehr denn je Bescheid. Und schweigt gewissenhaft, wie sich das gehört, gemäß §22 MVG-EKD.

Am liebsten würde sie jetzt dreimal die Woche tagen, Arbeit gibt’s genug! Aber die Mühlen mahlen langsam und die Tagesordnungspunkte rutschen von Woche zu Woche hinten runter. Schade!

Die Chefs freuen sich übrigens unwahrscheinlich über die Unterstützung durch eine engagierte MAV – nicht. Man wird als MAV mit offenen Armen empfangen – nicht.

Wenn die Leitungen zwölf Stunden am Tag in der Schule hocken über irgendwelchen Plänen, jede:r Kollegin ihre Familiensituation am wichtigsten findet und seinen Arbeitsbelastung am höchsten, dann sehnen die sich regelrecht danach, dass da noch ein schrulliger Verein anklopft und sich die überfälligen Stundenpläne ein paar Stunden oder Tage lang angucken will, bevor sie rausgehen. Es ist für alle Beteiligten eine wah-re Freu-de!

Man kann es natürlich auch lassen. Fünfe gerade sein lassen. Wer braucht schon Gesetze, wer braucht Mitbestimmung, wer braucht demokratische Prinzipien am Arbeitsplatz? Oder in kirchlichen Häusern?

Liebe Chefin, lieber Chef, im vollen Bewusstsein und nach reiflicher Überlegung möchte sich Frau Life Science für die Beanspruchung ihrer Rechte entschuldigen und für alle Unannehmlichkeiten, die das mit sich bringt. Und sie möchte ergänzen:

Wat mutt, dat mutt.

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