Emil und Frau Lehrerin als Detektivin

Kästners Emil hat es in sich. Erst kloppt sich Frau Life Science in der Vorbereitungswoche mit einer Kollegin um einen Klassensatz vergilbter Ausgaben, als ginge es dabei um den goldenen Schnatz, inklusive Foul-Spiel.

Dabei wollte sie in ihrer 4. Klasse erst gar nicht „Emil und die Detektive“ lesen, sondern ein anderes Buch, aber sie wurde von der Sachkunde-Lehrerin darum gebeten, wegen des fächerübergreifenden Aspekts mit dem Thema Berlin. Warum nicht, dachte Frau Life Science, mit Kästner kann man nichts falsch machen und man möchte ja kooperieren, meistens jedenfalls.

Da nur drölfzig vergilbte Ausgaben im Bücherkeller vorlagen, die Klasse aber bereits aus drölfzig Kindern bestand, hatte sie für sich selbst eine Ausgabe dazubestellt, auf ihre Kosten, versteht sich.

Und kurz darauf noch eins für den Forschernachwuchs, der es als Referatsthema gewählt hatte und es zeitgleich benötigte.

Wie immer bereitet Frau Life Science den Unterricht in den ersten Schulwochen nicht differenziert vor, wann auch, wenn ein Elternabend den anderen jagt, familiäre Geburtstage sich doppeln und die Schulfeste sich überlagern?

Der Wahnsinn Schule kommt ja immer doppelt bei Frau Life Science an: beruflich und privat. Jetzt auch noch mit der Mitarbeitervertretung, die ihr tendenziell auch noch wichtiger ist als da perfekte Arbeitsblatt.

Der Deutschunterricht zurzeit gleicht also aus Zeitmangel mehr so ein Literaturkreis mit Viertklässlern: einfach lesen und quatschen sowie aus dem Ärmel geschüttelte Schreibaufgaben bearbeiten. Kommt von Herzen, aber nicht vom Lehrer-Seminar.

Beim Schulfest fragte nun eine Mutter:

Es gibt ja eine Diskussion in der Kinderliteratur allgemein darüber, daher interessiert es mich: Wie gehen SIE damit um, wenn in Sie in der Klassenlektüre auf das N-Wort treffen?

N-Wort?! Was, wo???? Frau Life Science weiß von nichts, sie hat das komplett überlesen.

Gleich in Kapitel 1, da bei den Tischbeinen, ergänzt die Mutter, die beruflich mit Themen wie Diversität zu tun hat.

So. Das ist die Strafe für Frau Life Sciences Türschwellendidaktik. Alles falsch gemacht, als Lehrerin versagt. Nur zwanzig Meter entfernt vom Info-Stand „Schule ohne Rassismus“ muss sie sich, umgegebenen von der kompletten Schulfamilie auf dem Herbstfest, eingestehen:

Das N-Wort war ihr gar nicht aufgefallen.

Da der Emil zwar zunächst der Verbrennung, aber nicht dem Verbot entgangen war, hätte sie beim Auffinden eines solchen Wortes natürlich Milde walten lassen und das Buch nicht gleich komplett verworfen. Aber es wahrnehmen und besprechen, das würde sie schon wollen! Und auch auf der Türschwelle würde ihr dazu irgendetwas einfallen.

Warum hatte sie das nicht gesehen???

Wer den Unterricht nicht vorbereitet, bereitet halt länger nach. Nach ausgiebiger Internetrecherche am Wochenende findet Frau Life Science in detektivischer Arbeit heraus: anders als bei Pipi Langstrumpf und Jim Knopf, scheint es an der medialen Diskussion völlig vorbeigegangen zu sein, dass im 1. Kapitel des Emil zwischen den Jahren 2010 und 2025 irgendwann Änderungen vorgenommen worden waren. Das N-Wort wurde entfernt, entsprechende Stellen behutsam geändert.

Das heißt, den Problemtext hatten die Kinder, wahrscheinlich auch nicht alle. Frau Life Sciences Text aber war sauber. Kein Wunder merkte sie es als Letzte.

Beruhigend: Frau Life Science war doch kein ganz hoffnungsloser Fall… es war einfach ein blöder Zufall mit den ungleichen Ausgaben.

Die erfolgte Korrektur ist recht unauffällig und sicher sinnvoll. Sie rettet alle vor Augenschmerzen. Wer bitte soll das N-Wort auch lesen wollen im Jahre 2025?

Obgleich eine schöne Kipp-Figur verloren geht. In Kapitel 1, dem fiktiven „Making Off“ des Buches, gleicht ein barockes Tischbein der Wade eines Kindes. So kommt dem fiktiven Autor die Idee des Berliner Emils, anstelle eines abwegigen Südsee-Romans.

Der Gedanke, dass die holzbraune Wade zu einem Kind aus der Südsee ebenso gehören könnte wie zu einem braune Strümpfe tragenden Kind in Berlin, ist wahrscheinlich das Gegenteil von rassistisch gedacht. Der fiktive Autor merkt, dass er für ein gutes Buch nicht über die ihm gänzlich unbekannte Südsee fabulieren muss, sondern er einfach über das Unmittelbare vor seiner Nase schreiben kann. Es geht ja um den Menschen an sich.

Kipp-Figur hin oder her, man kann nicht alles haben. Die Erforschung des Problems mit dem Unsichtbaren N-Wort hat jetzt auch etwas länger gedauert. Da bleibt leider keine Zeit mehr für ausführliche Unterrichtsvorbereitung.

Wird schon klappen…

Ein Gedanke zu “Emil und Frau Lehrerin als Detektivin

  1. Ich mag eigentlich solche rückwärtigen Korrekturen von Texten überhaupt nicht, von mir aus soll man sie veröffentlichen, aber mit entsprechenden Kommentaren. Aber das wäre auch überhaupt nicht passiert, wenn im Schulkeller nicht uralte Exemplare rumliegen würden, oder? Vielleicht hättest du einfach drölfzig weitere Exemplare auf deine Kappe bestellen sollen

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