Der Bruder von Frau Life Science hat drei eigene Kinder im Alter von eins, zwei und vier Jahren. Sie können es sich vielleicht vorstellen, dass das für die Eltern manchmal ein bisschen stressig ist.
Gar nichts können Sie. Ach, Sie haben doch keine Ahnung. Das muss man schon selbst erleben.
Der genannte Bruder entscheidet sich zu einer Reise nach Berlin, mit Sack und Pack und Kind und Kegel. Einfach mal Familie Life Science besuchen, sich nach alldem Jahren mal stationär statt immer nur ambulant treffen, und ein bisschen Familienurlaub machen.
Bahn oder Auto für die 800 km weite Anfahrt ist noch die Frage. Was möchte man da raten? Kann beides schiefgehen!
Die gewählte Auto-Variante beginnt jedenfalls im Stau, schon ab dem nahe gelegenen Karlsruhe wird es schwierig. Man wollte aber ohnehin nicht die ganze Strecke quer durch Deutschland in einem runterreißen. Wohl dem, der einen Haufen Verwandte und Bekannte in Mitteldeutschland hat, die man ohnehin mal besuchen sollte.
Einen Tag später und nach dem nächsten und übernächsten Stau trifft die Bruder Life Science-Familie in Berlin ein. Alle strahlen, die Kinder verschwinden im Spielezimmer.
„Wie habt ihr das denn gemacht, mehrere Stunden im Stau? Und wenn eines mal aufs Klo muss und überhaupt?“, will Frau Life Science wissen. Man habe die Kinder im Grünstreifen pinkeln lassen, das Auto sei innerhalb des Staus günstig zum Stehen gekommen. Irgendwann aber kam der Verkehr wieder ins Rollen und alle mussten schnell zurück ins Auto verfrachtet und angeschnallt werden. Ansonsten: Hörspiele hören, andere Autos begutachten, Vespern, Stillen. Und natürlich habe es auch mal Streit gegeben.
Es sei schon irgendwie gegangen, und jetzt seien sie ja da, der Urlaub könne beginnen. Die Schwägerin steckt die vier Alustangen an vorgesehener Stellen in den mitgebrachten Ikea-Hochstuhl ein und alle machen sich bereit zum Abendessen.
Wer nach Berlin kommt, möchte natürlich etwas unternehmen. Mit drei kleinen Kindern hat jeder Ausflug seine Tücken. Wenn man ihn überhaupt unternimmt. Die Stippvisite an der ehemaligen Studentenbude der Schwägerin jedenfalls wird oft angedacht, aber nie umgesetzt.
Eine einstündige Bootsfahrt auf der Spree scheint realistisch. Alle fahren mit. Toilettengänge unterbrechen die illustre Aussicht, verschütter Apfelsaft wird mit unzureichenden Mitteln aufgewischt und de Einjährige erkundet das Boot auf eigenen Beinen. Einer muss immer hinterher!
Beim Ausstieg vom Boot, über einer steile Treppe, die in eine Mauer eingelassen ist, weht eine frische Brise der Schwägerin den weißen Sonnenhut vom Kopf und trägt ihn direkt auf den Fluss. Am Geländer oben stehend sehen alle Beteiligten: das weiße Rund treibt auf der Oberfläche der Spree. Dann saugt sich das Stroh mit Wasser voll und der Hut sinkt. Nach kurzer Zeit ist er schon nicht mehr zu sehen.
An jeder Hand ein Kind, stöhnt die Schwägerin, es sei einfach keine Hand für den Hut frei gewesen. Sie hatte ihn einst auf ihrer Hochzeitsreise gekauft.
Im Berliner Zoo ereilt das mittlere Kind ein waschechter Tantrum, wie die Amis sagen würden. Ein Wutanfall vom Feinsten. Und das, er sich sonst so friedfertig ist. Ganz der Papa. Er möchte jetzt aber Totenkopfäffchen anschauen und zwar NUR Totenkopfäffchen, bis die Sonne untergeht. Es sind hier und heute seine Tiere. Das alles und noch viel mehr kennt Frau Life Science vom eigenen Nachwuchs. Das ist schon mit einem anstrengend.
Zuhause reißt das jüngste Besuchskind die Stehlampe um, Rauchglasschirm und Halogenröhre zerscheppern in tausend Stücke. Gut, dass dem Mädchen nichts passiert ist. Wie man eine Wohnung kindersicher macht, hatte Frau Life Science einfach irgendwie vergessen gehabt. Andererseits: Um eine Stehlampe zu umzuwerfen, muss man nicht zwangsläufig eins sein, es geht auch mit 39, das weiß niemand besser als Frau Life Science. Jedenfalls war die Lampe davor schon kaputt und das Glas geklebt gewesen.
Nicht zu unterschätzen ist das ins Bett bringen des Dreierpacks. Hierzu braucht es beide Eltern. Es ist trotzdem stressig und dauert lang. Andauernd kommt einer, weil ihm das Hörspiel Angst macht, er noch Hunger hat oder sonstwas. Natürlich halten sich die Geschwister auch gegenseitig vom Schlafen ab so gut sie können.
Es ist schon gegen 23:00 Uhr, als die dreifachen Eltern ihre eigenen Schlafplätze im Wohnzimmer einnehmen und sich auf eine kurze und Nacht, noch dazu mit bevorstehenden Unterbrechungen einstellen. Man hört die beiden Eltern lachen und die eben zuvor erlebten Dialoge mit ihren Kindern nachsprechen.
„Ihr lacht noch?!“, ruft Frau Life Science ins Wohnzimmer hinüber.
Galgenhumor, gluckst die Schwägerin.
Es sei für Sie trotzdem Urlaub, behaupten die beiden. Man müsse sich nicht auch noch ums Essen kümmern.
Spaghetti und Tomatensoße? Wenn’s weiter nichts ist, gerne wieder mal, Leute!
Am Ende des Urlaubs werden Hochstuhl, Doppel-Kinderwagen, Mützen, Matschhosen, diverse Trinkflaschen, Spielsachen, Vesperdosen, Gastgeschenke für die nächste Zwischenstopp-Unterkunft etc. ins Auto gepackt. Es bleibt ein Handy-Ladekabel des Bruders zurück. Das hat er vergessen.
Sonst nichts.

Mithilfe des vergessenen Samsung-Ladekabels des Bruders, das sie zufällig mit sich führt, kann Frau Life Science sogar einem Mitreisenden im ICE aus der Patsche helfen, dem ein ebensolches fehlt. Als Dankeschön bringt der erleichterte Fahrgast spontan Getränke aus dem Bordrestaurant vorbei und Frau Life Science schlürft in der Abenddämmerung Kaffee, obwohl sie das eigentlich gar nicht so gut verträgt.