Wenn man kein Auto hat, hat man halt kein Auto und transportiert alles, was man sonst in den Kofferraum packen würde mit dem Bus. Mit „alles“ ist auch „alles“ gemeint.
Jüngst war das bei Frau Life Science ein Garderobenständer. Er wurde im Kindergarten gebraucht, für das Sommerfest. Ein paar Tage hat Frau Life Science abgewartet, ob das jemand anderes übernimmt, zum Beispiel einer, der im richtigen Stadtteil wohnt. Kurz vor dem Fest hat Frau Life Science sich selbst bei Garderobenständer eingetragen.
Man kann das Ding komplett zerlegen, aber das ist ihr zu doof. Hinterher fehlt sonst wieder die Hälfte. Sie schiebt den Ständer auf seine minimale Größe zusammen. Nun scheint er transportfähig, leichtgewichtig ist er ohnehin.
Da trägt sie ihn zum Bus, steigt hinten ein und bleibt dort, wo immer Kinderwägen und Rollstuhlfahrer Platz finden. Den Garderobenständer schiebt sie ans Fenster und sichert ihn vor dem Wegrollen mit ihrer eigenen Person. Mit seinen grauen Alustangen sieht das Ding aus wie ein Stück Bus.
Heute steigen aber ein Haufen Leute zu, woher die bloß alle kommen? Lauter Kinderwagen! Als es platzmäßig gerade noch so geht, steht an der nächsten Haltestelle eine Dame in einem sehr großen Rollstuhl.
Alle rücken zusammen, Rampe wird aufgeklappt, Frau rollt rein, passt nicht. Wieder raus, nochmals rein in anderem Winkel und nochmals.
Spätestens jetzt plagt Frau Life Science ein schlechtes Gewissen. Ihr Garderobenständer nimmt zwar kaum Platz ein, aber am Ende ist sie selbst vielleicht das Zünglein an der Waage, warum die Rollstuhlnutzerin hier nicht mitfahren kann. Der Bereich hier ist eindeutig für Kinderwagen und Rollstühle ausgewiesen, nicht für Menschen mit Garderobenständern. Aussteigen und den nächsten Bus nehmen kann Frau Life Science jetzt auch nicht mehr. Zu spät, sie ist mit allem und allen verkeilt und verkantet.
Dann haut es aber doch hin. Die hereingerollte Frau steht sicher, die Tür schließt sich, der Bus kommt in Bewegung.
Trotz des schwierigen Manövers ist die Rollstuhlfahrerin tiefenentspannt wie eine Hebamme kurz vor der Rente und gibt in bester Stimmung und mit amerikanischem Akzent noch Lebensweisheiten zum Besten – dass es am Ende immer passt und noch nie nicht gepasst hätte und überhaupt.
Am Rathaus Steglitz löst sich die unfreiwillige Versammlung auf. Alle machen, dass sie rauskommen, auch um der Rollstuhlfahrerin Platz zum Rangieren zu geben. Buggys und Körperglieder werden aufgefaltet. Man entwindet sich und tritt auf den Gehweg.
Noch vor Frau Life Science rollt die gut gelaunte Amerikanerin rückwärts aus dem Bus. Frau Life Science packt als allerletzte ihren Garderobenständer und folgt ihr nach.
Als die Frau sieht, was Frau Life Science bei sich trägt, was aus dieser unglaublichen menschlichen und materiellen Verkeilung zum Vorschein gekommen ist, ein waschechter Garderobenständer – es war gar kein Gestänge vom Bus – kann sie nur noch lachen. Da lacht sie und lacht, dass der Rollstuhl bebt. Lachend wendet sie ihr Gefährt und rollt ihres Weges.