Das Kind war diese Woche beim TÜV. „U8“ heißt diese Untersuchung und sie ist im Lebensalter von fast vier Jahren die erste vorgeschriebene seit der Rückkehr nach Deutschland. Darin enthalten die Kontrolle aller physischen Funktionen und psychischen Eigenschaften des Kindes.
Der Sehtest hat ergeben, dass das Kind komplett blind ist (oder bockig), alles Weitere wird der Augenarzt klären. Viel schlimmer ist aber der Stand der Dinge beim Malen. Der Forschernachwuchs ist leider durchgefallen.
„Mal doch mal Mama und Papa“, hatte ihn die Arzthelferin gebeten. Das Kind bringt ein geschlossenes Oval auf das Papier und ergänzt zwei willkürliche Striche: Papa. Die Mama erhält auch nicht mehr Details. Schließlich malt er auf Aufforderung noch sich selbst. Passend zu den Eltern stark reduziert im gestalterischen Ausdruck.
„Das ist ja nun in kleinster Weise altersgemäß“, moniert die Ärztin, als ihr das Blatt mit den drei durchstoßenen Ovalen gereicht wird.
Auwa. Das sitzt. Man darf bei Frau Life Science vieles kritisieren. Ihre Frisur, ihre Kochkünste, den Fahrstil. Aber bitte nicht ihr Kind.
„Malen die denn nicht im Kindergarten?“, hakt die Ärztin nach.
Wo denken Sie hin, Frau Doktor! Kindergarten=Buddelkasten. Wenn’s regnet Legoecke. Zumindest für die Jungs. Das heißt dann „offenes Konzept“ – Jedes Kind macht, was es schon kann.
Da ist dann doch eher die Mama gefragt. Mit „Ich hab keine Zeit“ kann sie sich momentan schlecht rausreden. Dass auch gerade ihr das passieren muss. Wo sie doch immer gerne gemalt und gebastelt hat. Noch dazu arbeitet sie im selbst Kindergarten. Peinlich.
Zuhause wird nun erstmal gemalt. Direkt nach dem Arztbesuch. Der Künstlernachwuchs lässt sich in gewohnter Umgebung und ohne Publikum zu mehr Einzelheiten hinreißen: Tellergroße Augen, die über das Gesicht hinausragen, eine Strichnase sowie ein großer Kreis als Mund (Wahrscheinlich formt der Mund ein „O“ für „Oh! Das ist nicht altersgerecht!“) .
Dazu kommen rechts und links des Körpers zwei gewaltige Besen mit unzähligen Borsten. Das sind die Finger (parallel zueinander). Die Besenmännchen mit den Telleraugen sind an sich sehr niedliche Wesen, Frau Life Science möchte sie aus lauter Rührung aufbewahren, schüttet aber leider Apfelsaft darüber.
Seit dem Arzttermin (sie verließ die Praxis in ihrem Schock kopflos – ohne die Augenarzt-Überweisung, ohne das Salbenrezept und ohne das Ergotherapie-Praxis-Heft für unterentwickelte Vierjährige und musste später noch einmal zurückkehren) grübelt Frau Life Science über ihr wider Erwarten nicht perfektes Kind. Sie vereinbart neue Förder-Strategien mit dem Lifescientisten. Hat nun das schon lange ausstehende Entwicklungsgespräch mit den Buddelkasten-Fachkräften endlich terminlich fest vereinbart.
Was das Kind bei der U8 alles konnte: Gegenstände erkennen und benennen, Sätze verstehen und verständlich nachsprechen, auf einem Bein stehen und vieles mehr! Aber am Ende macht sich Frau Life Science einen Kopf über das Malen. Anstatt dass sie sich freut und dankbar ist. Für ihr wunderbares Künstlerkind und auch dafür, dass sie in ein Land lebt, in dem es für alle eine medizinische Betreuung gibt.
