(443) Wie breche ich in meine eigene Wohnung ein?

Am Wochenende ist es passiert. Familie Life Science steht nachts vor der Ferienwohnung im Badischen, hat einen Wohnungsschlüssel, aber kommt nicht rein. Grund: ein anderer Schlüssel steckt von innen. Es ist nicht einmal abgeschlossen, aber die Tür ins Schloss gefallen. Die Wohnungstür hat außen keine Klinke, sondern einen Knauf. Manche Türen kann man beidseitig mit Schlüssel bedienen, andere nicht. Wie ist es bei Ihnen?

Das Kind schläft noch im Auto, während sich die Eltern um die verrammelte Wohnungstür kümmern. Wenn man den Schlüssel, der von innen steckt, nur irgendwie herausbewegen oder die nicht abgeschlossene Tür anders öffnen könnte! Da es sich um eine Hausgemeinschaft mit den eigenen Eltern handelt, gibt es Zugang zu einer kleinen Werkstatt. Alles da, was für eine Türöffnung hilfreich sein könnte: Stahldraht verschiedener Stärken, Schraubenzieher, Hammer, sogar Stemmeisen. Plastikkarten hat man ja immer zuhauf dabei. Nur das Know-how fehlt. 

Auf Youtube gibt es Einbruch-Tutorials für die eigene Wohnung. Bald beherrscht der Lifescientist das Öffnen umliegender Kellertüren mit der BahnCard, aber bei der Zieltür hat er keinen Erfolg. Die BahnCard ist schnell verbeult, aber sonst bewegt sich nichts. 

Es funktioniert einfach nicht. Familie Life Science muss sich – und da gibt es sicher Schlimmeres –  in Klamotten, ohne Zähne putzen im Gästezimmer der Eltern schlafen legen, die von all dem Geklopfe und Gepoltere nichts mitbekommen haben. Schwerhörigkeit kann ein Segen sein.

Am nächsten Morgen wird die ausgesperrte Familie gegen 6.00 Uhr im Haushalt der Senioren schlafend aufgefunden, allein über den Grund des Unterkunftswechsels wird spekuliert, bis Frau Life Science endlich schlaftrunken in der Küche erscheint. Von „Bett eingekracht“ bis „Wasserrohrbruch“ und „Enkelkind hatte einen Trotzanfall“ ist schon einiges diskutiert worden. „Black Stories“ für Senioren, und ohne Black.

Dann beginnt die Suche nach einem Schlüsseldienst in den Gelben Seiten. Eine seriös erscheinende Firma öffnet angeblich samstags um 9.00 Uhr das Geschäft. In einem Haushalt der Senioren kann man aber nicht einfach den Telefonhörer schnappen und wählen. Man muss zunächst die aktuellen Vorwahlnummern aus der Badischen Zeitung zur Kenntnis nehmen und eintippen, Zeitraum „Samstag“, Bereich „Festnetz“, Ziel  „Inland“, null-zehn-weiß-der-Geier, und alles nur um ein paar Cent zu sparen. „Lass uns doch unser Gedächtnistraining“, sagt der Opa dazu.

Als keiner abnimmt, ruft sich Frau Life Science in Erinnerung, dass die Wanduhr im Seniorenhaushalt nicht die eigentliche Uhrzeit anzeigt, sondern mindestens 10 Minuten vorgeht – seit über 40 Jahren. In denen es sich übrigens kaum bewährt hat. Wer glaubt, dass sich mit diesem Trick Verspätungen wirklich vermeiden ließen, glaubt auch, dass man Gewichtszunahme verhindert, wenn er die Personenwaage auf 10 Kilo vordreht. 

Um Viertel nach neun auf der Pendeluhr erreicht Frau Life Science endlich einen Ansprechpartner. Kostenvoranschlag für die Türöffnung: 250 Euro. Der Herr rät von sich selbst ab und empfiehlt eine andere Firma, die räumlich näher liegt, aber in den Gelben Seiten nicht verzeichnet ist, was verzeihlich scheint, weil sie den Service gar nicht anbietet. Jedoch kennen sie da jemanden! Dieser Jemand zeigt am Telefon deutliche Anzeichen vermutlich Fasnet-induzierter Beeinträchtigung in der Gesamtkonstitution, sodass Frau Life Science ganz unverblümt fragen muss, ob er denn glaube, heute einsatzfähig zu sein, was er bejaht. 15 Minuten später ist er da.

Der Fastnachtsliebhaber mit der kurzen Anfahrt präpariert den Türfalz mit Malerkrepp, um ihn vor Kratzern zu schützen. Dann bereitet er den Einsatz vor und legt sich rechtwinklig gebogenen Draht zurecht. So weit war Familie Life Science ja schon. Bald schreitet er zur Tat! Nun ruft die Mutter das Kind hinzu zwecks Berufskunde. Der Opa will auch nichts verpassen und postiert sich ebenfalls im Flur.

„He Nai“, sagt der Türexperte und schüttlet den Kopf.

„S´därf niemä züeluege.“

Niemand darf ihm bei der eigentlichen Arbeit zusehen. Das gehört wohl zum Berufsethos eines Schlüsseldienstes – er zeigt nicht, wie man irgendwo einbricht. Oder ist es schlicht Geschäftstüchtigkeit?

Für eine sauber aufgesperrte Tür innerhalb einiger Minuten (die vorhandenen Kratzspuren gehen auf Familie Life Sciences erfolglose Versuche zurück) verlangt der Experte 88 Euro, die die Familie gerne entrichtet. Viel besser als 250 Euro, oder?

In der frisch aufgesperrten Wohnung kann Familie Life Science am Nachmittag noch Besuch empfangen, dem sie die erlebte Geschichte natürlich nicht vorenthält. „Und jetzt fühlt ihr euch, als hättet ihr viel Geld gespart, obwohl ihr 88 Euro ärmer seid?“, fragt die Freundin.

Besser hätte es Frau Life Science auch nicht ausdrücken können. Gespart trotz Extraausgaben. Es ist schon fast wie „die Uhr vorstellen“.

Zum Schluss noch zwei praktische Tipps:

  • Türschlösser ohne sogenannte „Not- und Gefahrenfunktion“ oder BSZ-Funktion (beidseitig schließbarer Zylinder) können für Kinder und hilflose Menschen potentiell gefährlich sein. Allerdings haben Schlösser ohne beidseitige Funktion eine längere Gesamtlebenszeit, heißt es.
  • Kleine, regionalere Schlüsselnotdienst-Firmen mit kurzer Anfahrt (Kostenersparnis) sind eher im Örtlichen als in den Gelben Seiten verzeichnet. Ohne „Ö“ fehlt dir was – „Ö“ wie Öffnung…
„Schlüsselmoment“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

7 Gedanken zu “(443) Wie breche ich in meine eigene Wohnung ein?

  1. Ist mir auch schon passiert. Ich bin damals dank hilfsbereitem Nachbarn mit Leiter, Hochparterrewohnung und nur angelehntem Badezimmerfenster plus einschlägiger YouTube-Tutorialtipps innerhalb von 10 Min in Eigenregie wieder in die Wohnung gekommen. Beindruckt und ehrlich gesagt relativ stolz, lasse ich die Fenster seitdem dennoch nicht mehr gekippt, wenn ich außer Haus gehe!…😉 Lieben Gruß, Sarah

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  2. Hm, war so mitten drin bestimmt nicht lustig, aber ich musste beim Lesen doch sehr schmunzeln 😉.
    Ich habe auch schon das eine oder andere Mal einem Schlüssemdienst Geld bezahlen müssen, aber alles noch in D-Mark, seitdem habe ich wohl was gelernt 😜.

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  3. Auch meine Eltern haben eine solche Geschichte mal gebracht – beide im Hof, die Wohnungstür zu und innen steckte ein Schlüssel…
    Das Gute: Mein Pa ist selbst gelernter Schlosser, marschierte in seine – stets un-abgeschlossene – Werkstatt, bohrte ein Löchlein in den Türrahmen und brach fachmännisch bei sich selbst ein. =D
    Seitdem haben sie eine Tür mit Knauf innen und sind somit aussperrsicher, denn ein Ersatzschlüssel ist im Garten deponiert.

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      1. Haha, die Wachschildkröte. Ja, das ist ein schönes Bild. Die würde einem Einbrecher eher noch interessiert zugucken…
        So schlimm ist es nicht, es gibt noch ein Hoftor, das bezwungen werden muss, bevor man die Haustür aufbrechen kann. =) Und immerhin haben meine Eltern die Schwachstelle im Selbstversuch entdeckt und beseitigt…

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