Als das große Kind schon im Bett ist, muss Frau Life Science dringend etwas Bestimmtes wegräumen, damit der Forschernachwuchs es am nächsten Morgen nicht sieht. Aus den Augen aus dem Sinn… Könnte klappen.
Denkste.
Sie wünschte, sie hätte dieses etwas nie bestellt und kann davor nur alle Eltern warnen: Es ist ein Kartenspiel.
Es hat einen Namen aus vier beliebig klingenden Silben, kein Mensch kann sich die merken. Die Bezeichnung ist allerdings das einzig Anspruchsvolle an dem Spiel, weitere intellektuelle Anforderungen stellt es nicht an den Nutzer. Genau das ist das Problem.
Die Regeln sind schnell erklärt. Die quadratischen Karten mit völlig harmlos wirkenden Tierbildern werden unter den Spielern gleichmäßig vergeben, also fast. Die Regeln sehen vor, dass alle Fünfjährigen immer erst einmal die Tiger- und die Bärenkarte kriegen, das muss irgendwo im Kleingedruckten stehen. Den Rest einfach aufteilen.
Dann legt jeder Mitspieler die oberste Tierkarte aus seinem Stapel. Der mit dem größten Tier (es gibt sechs Kategorien), erhält alle gelegten Karten und die nächste Runde kann gespielt werden. Gewinner ist der, der am längsten noch Karten zur Verfügung hat.
Was daran so schrecklich ist? Vieles. Die Eindimensionalität. Entweder haben Sie in einer Runde das größte Tier – und gewinnen die Karten – oder eben nicht. Das bedeutet, Sie halten kontinuierlich ein paar Tierkarten mehr oder weniger auf ihrer Hand. Die Gesetze der Wahrscheinlichkeit führen dazu, dass die Verteilung auf lange Sicht gleichmäßig ist. Für das Spiel bedeutet das: Es passiert nüscht.
Sie haben dennoch keine Chance, geistig abzudriften, heimlich auf Twitter mitzulesen oder einen Apfel zu essen, weil Sie immer mit den Karten nesteln müssen. Das Spiel erfordert permanente manuelle Tätigkeit und ja – auch Konzentration. Sie haben ständig zu entscheiden, ob ihr Tier kleiner, größer oder gleich groß ist. Wenn Sie einmal nicht aufpassen, Karten beanspruchen, die Ihnen nicht zustehen oder, umgekehrt, einen Gewinn NICHT geltend machen, erklärt Ihnen der Forschernachwuchs gerne ausführlich, wie das Spiel geht. Sie wollen das aber nicht erklärt bekommen, Sie haben ja alles verstanden. Nur nicht, was an dem Spiel toll sein soll.
Das Spiel endet nie. Seit es vor 14 Tagen geliefert wurde, spielt man im Hause Life Science gefühlt erst die dritte oder vierte Partie. Zwei ungefähr gleich große Stapel speckiger Tierkarten aus einem unterbrochenen Match liegen permanent an allen möglichen Stellen in der Wohnung herum und gehören inzwischen praktisch zur Einrichtung.
Erschwerend kommt hinzu: Sie haben nicht die geringste Chance, dem Kind den Gewinn und sich selbst ein gnädiges Ende zuzuschustern, indem Sie einfach schummeln. Das Spiel ist so übersichtlich, die kleinste Abweichung wird sofort erkannt. „Mamaaaaaa?! Du musst die Karten von oooooo-ben nehmen!!!!”
Während Sie sich selbst mit inneren Durchhalteparolen bei Laune halten, ist der Fünfjährige vor Begeisterung nicht zu bremsen. Das Auftreten der verschieden großen Tiere – immer eine große Überraschung: der Braunbär! – inspiriert ihn zu allerlei Kraftausdrücken. „Boah, krass, Mama!!!!“ „Coool!!“
Sehr cool. Hoffentlich ist das Spiel krass schnell zu Ende!
Aber wenn Ihnen dann der Kartengott einmal gnädig ist, ihr Stapel dünner und dünner wird, Sie plötzlich nur noch zwei oder drei Karten halten und das erlösende Ende schon zum Greifen nah scheint, dann ist Ihre letzte Karte doch garantiert das Nashorn und Ihnen wird wegen seiner völlig unstrittigen Größe die Runde, die Sie hätte erlösen sollen, wenn auch als Verlierer, doch noch zugeschlagen. Mit so wenigen Karten, die Sie jetzt immer noch nur haben, ist fast jede dritte Karte wieder das Nashorn und gewinnt die Runde, Ihr Kartenstapel wächst erneut an, bis er wieder ungefähr gleich groß ist wie der ihres fünfjährigen Mitspielers.
Ein Perpetuum mobile aus Spielkarten. Fangen Sie bloß nicht damit an.
Das erinnert mich an das Spiel Obstgarten, dass wohl jeder kennt. Es sieht wirklich nett aus mit den süssen kleinen Körbchen und dem Obst aus Holz, leider hat es auf mich immer eine narkotische Wirkung gehabt. Irgendwie wurde ich davon immer sooo müde, mir sind wirklich regelmässig die Augen zugefallen, meine Kinder konnten allerdings nie genug davon kriegen. Spiele die Kinder Spass machen, sind manchmal nicht für Erwachsenen geeignet 😉
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Das erinnert mich schmerzhaft an die „Pädagogikkassette“ von Löwenzahn, die unser Ältester zweihundertsechsundachzigmal am Tag vor und zurück gehört hat. Zum Davonlaufen. Nur das Gekreische, wenn ich sie durch eine andere ersetzen wollte, war noch schlimmer.
Ich habe den Ohrwurm nach 21 Jahren immer noch nicht los: „….wir faaahren, wir faharen, immer der Naaase nach. Wir faaaahren, wir f……..“ Aaaaaaaahhrrrggg!
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Oh, da kann ich mitfühlen, hier in Frankreich kommt man an diesem Spiel mit Kind im Vorschulalter nicht vorbei 🙂 Nennt sich „jeu de bataille“ und man kann es in zig Ausführungen erwerben.
Ich kenne es allerdings mit der Regel, dass es zur „Schlacht“ (bataille) kommt, wenn beide Spieler gleich grosse Karten haben. In dem Fall legt jeder Spieler eine weitere Karte verdeckt auf seine Karte und dann wieder eine Karte offen darauf, so lange bis die offene Karte bei einem der Spieler grösser ist. Dieser Spieler gewinnt dann alle gelegten Karten. Viel spannender wird das Spiel dadurch nicht, aber die Partie findet zumindest irgendwann ein Ende…
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Mit der neuen Regel, die mit das Kind vermutlich unterschlagen hat, spielt es sich 1000 mal besser! Danke!!
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Herrlich!
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