Buch

Frau Life Science möchte von einem Buch erzählen, einem Kinderbuch. Wobei – eigentlich möchte sie erst einmal von Leonore erzählen, und von Paul. Wo anfangen, wenn eins zum anderen kommt.

Sie möchte von der ersten gemeinsamen Wohnung erzählen, die sie mit dem Lifescientisten teilte. Die in einem übertrieben alten Haus war, in einer märchenhaften kleinen Stadt.

Die Monatsmiete entschuldigte sich für manchen Mangel durch ihre Niedrigkeit. (Später hat sich nie wieder eine Monatsmiete für irgendetwas entschuldigt).

Da war viel Platz im dieser Wohnung, da waren Leonore als Vermieterin und ihr Paul sowie zwei Katzen.

Von Leonore und Paul kann man sich angucken, wie man mir Begrenzungen lebt. Leonore hatte es mit der Psyche zu tun. Schon immer. Manchmal entschuldigte sie sich auf Badisch für irgendwelches Schreien am Vortag („Weisch, Frau Life Science, des isch minni Krankhet“) aber Frau Life Science hatte sowieso nichts gehört. Paul war von Geburt an körperlich schwer beeinträchtigt.

Seine soziale Teilhabe hatte sich Paul als Kind mit einem Kettcar erfahren. Was für andere ein Spielzeug darstellte, war für ihn einzige Möglichkeit der Fortbewegung – zwischen den Ortschaften.

Paul war nun iberufstätig und seine Behinderung hielt ihn nicht davon ab, als Hobby und Ehrenamt sich ausgerechnet dem örtlichen Rot-Kreuz-Verein anzuschließen. Erste Hilfe und Notfälle waren das, was ihn brennend interessierte. Es war aber nicht so, das alle dort auf ihn gewartet hatten. Irgendwie setzte er sich durch. Fand seine Nische.

Als einmal der Lifescientist mit einer völlig unerwarteten Impfreaktion schlimm darniederlag, bat er Frau Life Science, den Paul zu holen. Und Paul hangelte sich die steile Treppe hoch um sich zu kümmern. Er war in seinem Element und dazu auch einfach stolz, dass er dem Herr Dr. von oben da helfen konnte.

Leonore konnte gut mit Kindern. Hatte das auch mal beruflich gemacht. Aber ihr waren – wie gesagt – Grenzen gesetzt.

Der Forschernachwuchs war im Märchenhaus in der Märchenstadt quasi geboren, aber nicht großgeworden.

Nun hat Familie Life Science mitsamt den Kindern Leonore und Paul kürzlich mal wieder besucht. Das alte Haus ist längst verkauft. Gerade noch rechtzeitig vor all den Krisen, meint Leonore. In der endlich barrierefreien, hochmodernen Wohnung gibt es neue Vorzüge und neue Herausforderungen.

Man saß am Kaffeetisch. Die zurückhaltendere der beiden Katzen, die damals schon ziemlich krank gewesen war, lebt sogar noch, aufgrund teurer tierärztlicher Intervention und der Großherzigkeit der Halter. Stichwort Leben mit Begrenzungen.

Zwischen Biskuitrolle und Saftschorle sagte Leonore zum Forschernachwuchs auf gut Badisch: „Sell Buch nimmsch mit.“ Es spielte keine Rolle, dass sie es selbst noch nicht zu Ende gelesen hatte. Entdeckt hatte sie es während eines Ausflugs mit ihrer langjährigen Gruppe für psychisch belastete Menschen, bei einem Bücherflohmarkt – 1 Euro.

Frau Life Science liest dem Forschernachwuchs zurzeit jeden Abend aus daraus vor. Und es wundert sie überhaupt nicht, dass es ein Volltreffer ist. Denn für gute Literatur braucht man nicht notwendigerweise ein Studium, sondern vor allem ein Herz und oftmals nicht mehr als einen Euro.

Und es ist genauso wenig verwunderlich, dass es in dem Buch um so vieles geht, aber auch um körperliche Grenzen und deren Überwindung.

Danke, Leonore! Frau Life Science möchte die zwei, drei Jahre im windschiefen Haus, die Herzlichkeit und die Unverstelltheit seiner menschlichen und tierischen Bewohner nicht missen. Es war eine verdammt schöne Zeit. Unbeschwert scheint sie – im Nachhinein.

Und dieses Buch, Leonore, hättest du nicht besser finden können.

Boris Koch: Das Kaninchenrennen

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