An der belebten Steglitzer Schloßstraße gibt es den etwas anderen Supermarkt: er heißt „SirPlus“ (englisch ausgesprochen). Hier bieten sie Lebensmittel an, die anderswo aus dem Verkehr gezogen wurden. Zu schrumpelig, zu angelaufen, ein unbedeutender Fehler auf dem Aufdruck. Aber: Dit is doch noch jut!
Beim Eintreten in den Laden riecht es gleich muffelig. Vielleicht gehört das dazu. Ansonsten ist der Laden frisch und neu, ganz auf modern gemacht. Lässige Trader Joe’s – Ästhetik, viel blankes Holz, lockere Sprüche aufgemalt. Man darf sich gut fühlen als Kunde. Nicht wie ein hirnloser Konsument.

Hinter der Kasse ist ein Kindertisch mit Malstiften. Hier wartet Frau Life Science mit dem Kind auf ihren Mann, der einen Nachfolger für seinen unkomplizierten bengalischen Frisör aus New York sucht. Samstagabend um 18:00 Uhr ohne Termin Haare geschnitten kriegen, das geht auch in Berlin, glaubt er; und behält Recht.
Genügend Zeit für Frau Life Science, Info-Blättchen zu lesen und den SirPlus-Markt mit seinen Besuchern auf sich wirken zu lassen. Wer hier einkauft, wer an der Kasse sitzt, wer in der Geschenke-Ecke Halt macht. Sie stellt fest: Neugierig ist bei letzterem jeder. Aber leicht matschige Tomaten umsonst mitnehmen oder eine offene Packung Tortillas, dazu muss man ein hart gesottener Lebensmittelretter sein, oder arm. Es wird jedenfalls ALLES irgendwann mitgenommen, beobachtet Frau Life Science. Die Grenzen verschwimmen zwischen einem alternativen Lebensstil der Wahl und einer reinen Notwendigkeit.
Der Markt, als StartUp mit Crowdfunding usw. begonnen, läuft hervorragend. Es gibt bereits mehrere Filialen, das Prinzip gute Tat kann man franchisen. Online bestellen geht auch. Eine Retterkiste nachhause oder ins Büro liefern lassen, einmalig oder im Jahresabo – kein Problem. Wie ist es möglich, dass bei veganer und/oder Bio-Produktion so viel Überschuss oder „Abfall“ anfällt, dass man ein Jahresabo mit ausschließlich solchen Produkten einfach so garantieren kann? Nicht einmal der Hinweis „solange der Vorrat reicht“.
Wenn man lange genug mit gerade frisch geretteten Salzstangen in der Malecke sitzt, sieht man auch, wo die schwarzen Mausefallen stehen. Da hinten bei den Einkaufswägen, dort drüben unter dem Holzaufbau. Sicher gibt es so etwas auch bei Rewe oder Edeka. Nur gesehen hat man sie noch nie.
Als der Lifescientisten mit raspelkurzen Hasten im Laden eintrifft, schlendert Familie Life Science noch einmal durch das Sortiment, nimmt noch drei Sharon-Früchte mit, einen Kichererbsenbrotaufstrich zum Kennenlernen und ein paar Jogurts, die am Sonntag ablaufen.
Möchten auch gerettet werden: Unzählige Schokonikoläuse aus 2018, manche sogar mit anrührender Bischofsmütze


Der Lifescientist ist ebenso interessiert und begeistert von dem Prinzip dieses Ladens. Auch in New York ist ihm schon ein solches Geschäft begegnet.
Allerdings geht die Liebe zum Lebensmittel schon recht weit. Was man bestenfalls noch verschenken könnte, wird hier mitunter noch verkauft, und Dinge, die wirklich auf den Müll gehören, landen in der Verschenk-Ecke. Verschimmelter Ingwer jedenfalls ist keine gute Tat, sondern eher ein Fall fürs Gesundheitsamt. Entschuldigung, liebe Lebensmittelretter!

Dennoch wird Familie Life Science immer wieder gerne in diesem Geschäft vorbeischauen. An der Schloßstraße kommt man ja häufiger vorbei.
Auf dem Heimweg im Bus schaufelt das Kind den Joghurt mit einem Bambus-Rührstäbchen für Kaffee in seinen Mund – ein Löffel ist gerade nicht zur Hand – und leert das Milchprodukt somit sogar noch vor dem offiziellen Ablaufdatum. Lecker Erdbeerjoghurt… Der kleine Neu-Berliner findet auch: Dit is doch noch jut!