Man muss die Gepflogenheiten einer neuen Stadt ja erst lernen. Gesetze und Regeln, die nirgends geschrieben stehen. Beispiel ÖPNV.
Ist es eigentlich verpflichtend, dem Busfahrer die Monatskarte beim Einsteigen in den Bus vorzuzeigen oder nicht? Wo doch sporadisch Fahrkartenkontrolleure unterwegs sind und alle Fahrscheine genau prüfen? In der kurzen Zeit hat dies Frau Liefe Science schon mehrfach erlebt.
Verpflichtend oder nicht? Die Antwort ist ein klares Jein. An der Steglitzer Schloßstraße zum Beispiel wird erwartet, dass Sie als Fahrgast zügig einstiegen, egal zu welcher Tür und egal mit welcher Fahrkarte. Der Bus soll sich zügig füllen, damit er zeitnah abfahren kann.
Ein paar Haltestellen später im selben Bus scheint es aber durchaus angebracht, den Fahrausweis dem Busfahrer unter die Nase zu halten, der mehr oder weniger interessiert guckt, aber beim besten Willen nicht feststellen kann, ob der vorgezeigte Fahrausweis via Smartphone-App authentisch ist oder nur ein simpler Screenshot.
Man kann es aber auch lassen mit dem Fahrschein, wenn man zum Beispiel ein Kind an der einen und irgendwelche Sachen mit Rädern in der anderen Hand hat, oder gerade noch zum Bus rennen musste. Eigentlich interessiert den Fahrer Ihre Fahrkarte nicht. Er hat Besseres zu tun.
Ähnlich verhält es sich mit anderen Bus-Regeln. Darf man zur Vordertür des Busses aussteigen? Jein! Man soll es nicht, aber manchmal muss man es doch. Weil man sich gar nicht bis zur Hintertür durcharbeiten kann. Oder man wird schnell rausgelassen, weil eh niemand zusteigt.
Man darf eigentlich alles irgendwie, stellt Frau Life Science fest, die zurzeit unübertrieben achtmal (!) täglich mit einem Bus fährt. Man darf alles, nur nicht alles gleichzeitig.
Neulich hatte Frau Life Science einen schlechten Tag. Keine Zeit fürs Mittagessen, und das, obwohl sie doch gar nichts schafft! Nur schnell ein belegtes Brötchen in die eine und den Kaffeebecher in die andere Hand und schnell in den Bus zum Kindergarten. Einfach reingewischt.
„Juuuuunge Daaaame….!!!“
Der Busfahrer mit türkischem Aussehen und in jüngerem Alter setzt zu einer saftigen Moralpredigt an. Während Frau Life Science noch bei der Wirkung der Worte „Junge Dame“ auf sie gedanklich festhängt, ergeht ein Wortschwall über sie:
„Sie kommen hier einfach rein. Sie zeigen KEINE Fahrkarte. Sie sagen überhaupt nicht Guten Tag. Sie essen UND trinken. Damit Sie es wissen: Das mit dem Kaffee, das wird hier allerhöchstens geduldet. Aber dass Sie nicht einmal Guten Tag sagen. Das ist sowas von respektlos…“
Mit vollem Mund konnte Frau Life beim besten Willen nicht Guten Tag sagen. Und für das Vorzeigen der Fahrkarte war einfach keine Hand frei.
Respektlos? Frau Life Science? Das möchte sie nicht auf sich sitzen lassen. Es geht nichts über den gelben Doppeldeckerbus, der vor ihrem Haus hält, da ist sie sich mit dem kleinen Schatz einig, nicht umsonst ziert so ein gelbes Gefährt neuerdings diesen Blog. Sie schätzt doch so sehr den Berliner ÖPNV und damit auch die Menschen, die ihn betreiben.
„Respektlos ist das. Sowas von respektlos. Nicht einmal Guten Tag sagen Sie.“
Der Busfahrer verliert sich in Wiederholungen. Frau Life Science versucht den Mund so gut es geht leer zu kriegen und sagt mit fester Überzeugung und in einer großen Ruhe, die nicht ohne eine leichte Traurigkeit ist:
„Ich bin ganz anders als Sie denken. “
„Ham´se aber nicht gezeigt“, brummt der Busfahrer und winkt Frau Life Science samt Kaffee durch. Die Fahrkarte möchte er nicht mehr sehen.