Frau Life Science möchte Ihnen ihr Kind vorstellen. Pardon, es ist kein Kind, schon lange nicht mehr, es ist ein Äffchen. Darauf besteht es ausdrücklich und macht „uh-uh-ah-ah“ dazu.
Das Kind, das ein Äffchen sein möchte, sieht aus wie seine eigene Oma, eine Schwiegermutter in klein und als Junge. Es hat dichtes Haar, dunkelbraune Knopfaugen und ein Grübchen im Kinn. Wenn es lächelt, entblößt es einen angeschlagenen Zahn.
Fragen Sie das Affenjunge, wie es heißt, erhalten Sie niemals eine Antwort. Es ist schüchtern. Sein Alter zeigt es mit den Fingern. Das geht ihm immer noch nicht leicht von der Hand, die drei Finger aufzurichten. Welche denn bloß, und überhaupt.
So drahtig es auch ist, ganz schön gefräßig ist das Äffchen. Sie tun als Mutter gut daran, wenn Sie in jeder Handtasche eine Kekspackung, Berge von Obst auf der Anrichte und alle Sorten Nüsse im Schrank vorhalten. Stocken Sie die Rosinen auf, horten Sie Fruchtjoghurt und kochen Sie Milchreis vor. Lagern Sie sicherheitshalber Dosenwurst ein. Nur „Kurgen“ mag es nicht (Gurken).
Das Kind isst im Bus, in der S-Bahn, im Kindergarten und beim Turnen, und die Kirche wird ruckzuck zur Vesperkirche. Geht’s abends ins Bett, ist „Ich hab noch Hunger“ sein letztes Wort. Es isst dann schon mal zwei Bananen auf einmal und kein Mensch weiß, ob man so viele Bananen vor oder nach dem Zähneputzen überhaupt essen darf (Affenkinder vielleicht schon).
Und was macht so ein Äffchen sonst so den ganzen Tag?
Hunderte große und kleine Spielzeugautos rumschieben und sie in ausgefeilten Parkplätzen anordnen. Die Autos mit buntem Kinderpflaster versorgen, wenn sie sich wehgemacht haben. Und immer müssen Gummibärchen als Passagiere herhalten.
Er malt auch gerne mal mit Wasserfarben, wobei die bevorzugt angewandte künstlerische Technik verlangt, dass man den Pinsel immer erst nochmal ins Wasser taucht, ehe man sich dem Blatt nähert. Auf diese Weise entstehen gehauchte Aquarelle auf stark gewelltem Untergrund und das eingetrübte Wasser im Glas muss ständig gewechselt werden.
Kochen zu spielen ist auch eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Dazu wirft es Puzzleteile, abgerupfte Beeren von der Gartenhecke, Spielzeugautos mit oder ohne Pflaster und Wachsmalkreide in einen Topf und stößt mit einem Kochlöffel darauf herum. Er nennt es Hackfleisch. „Mama, willst du zum Essen kommen?“
Eine ganze Horde kuscheliger Freunde ohne Namen, über Jahre angesammelt und mit jeweils eigener Adoptionsgeschichte, bewohnen sein Zimmer. Der großer Bär, der große Affe, der kleine Affe, die Spinne, die Schlange, das Schaf, die Schildkröte mit Schildkrötenbaby und der Hase. Eine abgelegte Puppe hat es nun noch von der Cousine adoptiert. Sie ist sein rosafarbener Junge namens Lulu, während es selbst nicht etwa der Papa von Lulu, sondern selbstverständlich seine Mama ist.
Legendär sind des kleinen Äffchens Tobsuchtsanfälle. Da wirft es sich auf den Lichterfelder Gehweg und dreht sich wie ein Uhrzeiger. Gut, wenn es den Fahrradhelm noch aufhat. Es nennt Sie in solchen Fällen dann gerne mal „dumme Mamma“, und wenn Sie nach Hause kommen und gerade denken, es hätte sich beruhigt, pikst es Sie mit einer Nagelschere in den Po. Schimpfen Sie, aber nehmen Sie es nicht persönlich. Anderntags küsst es Sie irgendwo im Bus wieder grundlos aufs Knie.
Der Forschernachwuchs in Äffchengestalt hat den festen Glauben – und darum kann man ihn nur beneiden – dass man falsche Handlungen rückgängig machen kann, indem man sie mit richtigen Taten quasi „überschreibt“. Hat die ahnungslose Mutter zu viel geholfen, beim Schuhe anziehen oder so, dann wirft es die Schuhe davon, macht eine bedeutungsschwere Pause – das dient der Löschung des Vorangegangenen – und zieht sich die Schuhe selbst an (Schon ein Tag später ist selber Schuhe anziehen so uninteressant wie nur was, aber das ist eine andere Geschichte).
Alles „falsche Leben“ kann man aus Äffchensicht ganz leicht reparieren: Einfach zurück zum Vorherigen, Pause, und nochmal ganz neu starten. Auch wenn das bedeuten mag, dass man am späten Nachmittag nochmal aufbricht und den ganzen Weg zum Kindergarten zurückfährt, möge das auch noch so weit sein. Man war nun mal im falschen Bus.
Warum versteht die Mama das nur nicht?
