Beurlaubte Lehrerin sucht
geringfügige Beschäftigung
ohne Aufstiegschancen
zum sofortigen Dienstantritt.
….Stelle gefunden!
Einfach beim kirchlichen Träger angerufen, der den Kindergartenplatz für den Forschernachwuchs in einer seiner Kitas (im Nachhinein im falschen Stadtteil) bereitgestellt hat. Länger nichts gehört. Plötzlich ein Anruf, ob Frau Life Science am nächsten Tag für ein Gespräch zur Verfügung stünde und am Tag darauf zum Probearbeiten (ja!) und schwupp, hatte sie die Zusage.
Ist das jetzt eine Auszeichnung? Eher nicht. Es brennt (nicht nur) in den Berliner Kinderbetreuungseinrichtungen. Zu wenige Fachkräfte. Frau Life Science gilt als eine, zumindest auf dem Papier. Dank diesem Papier können rechtliche Anforderungen für den Betrieb aufrecht erhalten werden. Wer hätte das gedacht, dass Frau Life Sciences staubige Erzieher-Urkunde jemandem einmal so nützlich sein könnte.
Frau Life Science könnte damit vermutlich schon übermorgen in einem Kindergarten ihrer Wahl in Vollzeit und unbefristeter Stellung arbeiten. Überall werden Fachkräfte gesucht. Darum schickt der Forschernachwuchs-Kindergarten auch ständig WhatsApp-Botschaften, man möge bitte, falls irgend möglich, sein Kind zuhause lassen (Wir sind ein Kindergarten, aber bitte bringen Sie uns keine Kinder). Nach Meinung von Frau Frau Life Science ist es vom Bildungs- und Teilhabe-Aspekt her gesehen so, als würde man gebeten, nicht zur Schule zu kommen. Nicht weniger als ein Skandal.
Dessen ungeachtet findet Frau Life Science die Arbeit als Erzieherin im Kindergarten mehr denn je attraktiv:
- die Arbeit scheint hoch sinnvoll: für Familien, für das individuelle Kind, für die Gesellschaft – man wird gebraucht
- nicht keine, aber deutlich weniger Vorbereitungszeit (im Vergleich zum Lehrerberuf)
- nicht alleine vor einer Klasse stehen, sondern ist unmittelbarer Teil eines Teams sein (im Vergleich zum Lehrerberuf) Letzteres scheint wichtiger denn je, wenn man in einer zu 100% fremden Stadt lebt.
- Im Notfall darf man (!) das eigene Kind zum Arbeiten mitbringen
Es gibt aber eben auch Nachteile:
- die Arbeit wird schlecht bezahlt
- sie wird auch darüber hinaus zu wenig wertgeschätzt
- die Lautstärke, die Lautstärke und nochmal die Lautstärke
Frau Life Science hat nun das Glück, beides genießen. Der Erzieherinnenjob bis auf Weiteres, aber auch der Schuldienst wird früh genug wieder kommen, sobald die Versetzung durch ist. Der geringfügige Nebenjob ist vom Dienstherrn genehmigt, besser gesagt der Dienstherrin, in Gestalt einer freundlichen Schulleiterin, weit weg in Baden-Württemberg, die vor vier Jahren noch nicht da war, und die Frau Life Science noch nie gesehen hat, der aber alles recht ist. Warum auch nicht.
Die neue Kinderbetreuungseinrichtung, deren Betrieb Frau Life Science nun nach Kräften aufrechterhält, verfolgt ein spezielles Konzept: Kinder werden dort höchstens fünf Stunden am Tag betreut. Als Belohnung dafür, dass die Eltern sich für die halbe mögliche Betreuungszeit entscheiden (wo doch auch längere Betreuungszeiten in Berlin kostenlos sind), dürfen sie auch noch mithelfen, und zwar zweimal im Monat einen ganzen Vormittag. Getränke ausschenken, Krümel wegfegen, Geschirrspüler einräumen, Konflikte klären und weinende Kinder trösten. Das ganz Programm.
Es ist erstaunlich: Die Einrichtung hat mehr Anfragen, als sie bewältigen kann. Und es ist auch tatsächlich ein schöner familiärer Kreis, wo jedes Kind im Blick ist und keines „durchrutschen“ kann.
Als mit dem Vertrag alles soweit in trockenen Tüchern ist, kommt eine Mail von der Pfarrerin (übergeordnete Chefin der Kindergruppe) bezüglich des sogenannten Gemeindekirchenrates. Frau Life Science meldet, keine Einladung hierzu bekommen zu haben. „Das ist ja lustig“, schreibt die Pfarrerin, „Sie stehen auf der Tagesordnung, wissen aber nichts von der Sitzung. Können Sie denn kommen?“ Der ganze Dienstantritt scheint an dieser Sitzung zu hängen, und an der Zustimmung, die zu erwarten ist, aber ausgesprochen werden muss.
Dummerweise steht der Lifescientist auch auf einer Tagesordnung anderswo und ist zum Babysitten nicht abkömmlich. „Ich müsste das Kind mitbringen“, schrieb Frau Life Science der Pfarrerin. „Kein Problem…“, antwortet die.
So kommt es, dass Frau Life Science abends um halb acht mit dem Kind im anderen Stadtteil aufläuft und die Sitzung des Gemeindekirchenrates wahrnimmt. Die Sitzung beginnt mit einem Lied aus dem Gesangbuch, so ist das halt, kein Problem für Frau Life Science, wenn sie auch zunächst statt der Nr. 165 versehentlich die Nr. 65 aufschlägt, „Von guten Mächten“.
Frau Life Science wird gleich nach dem Lied mit einer warmen Dusche übergossen, und für ihr bloßes Vorhandensein bei der gerade stattfinden Sitzung und hoffentlich bald auch in der Kindergruppe gepriesen, und auch die Zustimmung für die künftige Beschäftigung ab nächsten Montag wird wie erwartet ausgesprochen.
„Bekomme ich jetzt einen Lolli?“ fragt das Kind laut, als Frau Life Sciences Part zu Ende ist. Die Pfarrerin hilft ihm beim Jacke zumachen und ruft Frau Life Science beim Gehen noch nach: „Auf keinen Fall den Lolli vergessen!“
Eigentlich eine gute Visitenkarte für eine Erzieherin, abends, wenn andere Kinder schon ins Bett gehen, mit einem wohl aufgestellten Forschernachwuchs aufzulaufen, Pixi-Buch und Malstifte im handlichen Schächtelchen dabei, Essen sowieso. Einer Sitzung beiwohnen, so etwas kann der Kleine, Frau Life Science kennt ihr Kind. Gesellschaftsmodus! Geht fast immer. Und ja, sie ist stolz auf ihn. Sie findet ihr Kind vorzeigbar. Es ist jedenfalls das Beste, was sie je zustande bekommen hat.
Auf dem Heimweg vor der S-Bahn in die Hose pinkeln und am nächsten Morgen ein Zinnober wegen einem einzigen verlorenen (!) Gummibärchen machen (aus dem Tütchen, die als Lolli-Ersatz herhalten musste), steht auf einem anderen Blatt.
Das ist nun also der neue Nebenjob von Frau Life Science. Und es ist bei Weitem nicht ihr einziger Beruf. Nebenbei bloggt sie ja noch, dübelt Regale in die Wände (nicht dass sie dafür ein Händchen hätte, aber eine muss es ja machen) , schmeißt recht und schlecht den Haushalt, fängt Dienstreisen des Lifescientisten ab und bringt gestrandete neue Mitarbeiterinnen desselben aus Indien im heimischen Gästezimmer unter. Aber das ist eine andere Geschichte.
