(439) Abenteuer letzte Meile

Der Kindergartenwechsel hat ja unter anderem wegen der günstigeren Verkehrsanbindung stattgefunden, doch schon in den allerersten Tagen in der neuen Einrichtung musste Familie Life Science feststellen, dass sie zumindest verkehrstechnisch vom Regen unter die Traufe gekommen war.

Zwar ist nun nur noch eine kurze Busfahrt notwendig, und das Umsteigen am großen Verkehrsknoten, gemeinsam mit den 300 Oberschülern, 100 Rentnern und 20 Eltern mit Kinderwagen entfällt. Ebenso gerade verpasste Anschlüsse, Verspätungen durch Baustellen und dergleichen mehr.

Das Problem ist aber jetzt die berühmte „letzte Meile“- und die beinhaltet 900 Meter Fußweg, die das Kind mit den eigenen kurzen Beinen nicht zurücklegen kann, vielleicht muss man auch sagen: will. Es ist verwöhnt und gehfaul. Würde es in einem anderen Land und oder unter anderen Bedingungen leben, wäre es schon am Ziel, noch ehe Frau Life Science diesen Post fertig geschrieben hat, und zwar allein.

Wozu hat der Junge denn seinen Roller? Das fesche Teil mit den blauen LED Lichtern in den Rädern war für den neuen Lebensabschnitt logistisch fest eingeplant. Aber der Lifescientist hatte von Anfang an ein komisches Gefühl – zurecht.

Schon sehr bald nach der Eingewöhnung geriet der kleine Rollerfahrer in ein Loch im Gehweg und stürzte, während Frau Life Science dumm daneben stand. Platzwunde! (Ein teurer Helm schützt eben nur, wenn er auch richtig sitzt).

Ein großes Schlagloch ist leicht zu erkennen…
Tückisch sind die kleinen: die eigentliche Unfallstelle

Frau Life Science zückte Taschentücher, beruhigte das Kind und rief ein Taxi zum nächsten Krankenhaus, wo mit einem Tropfen medizinischem „Klebstoff“ die Wunde versiegelt wurde.

In Anbetracht der Situation verfügt der chronisch besorgte Lifescientist die Anschaffung eines neuen, noch teureren Helmes, der nicht ständig nachjustiert werden muss, und verhängt pauschal ein Rollerverbot auf der fraglichen Strecke; ab jetzt und für immer.

Es ist auch wirklich ein Abenteuerpfad, die letzte Meile bis zum Kindi. Überquerung einer vierspurigen Straße, deren Mittelbereich egal bei welchem Wetter einem Feuchtbiotop ähnlicher ist als einer Verkehrsinsel.

Schönes Biotop, aber sehr unpraktisch.

Es folgen Gehwegstrecken, die mit einer abgesenkten Bordsteinkante so wenig zu tun haben wie Frau Life Science mit Instagram. Die zu überquerenden Straßen sind mit grobem, die Gehwege aus feinerem Pflaster versehen, wirklich fahren kann man auf keinem. „Kopfsteinpflaster“ wird es wahrscheinlich deshalb genannt, weil früher oder später „Kopf“ und „Stein“ zusammenkommen und man dann ein „Pflaster“ braucht – wie eben der Forschernachwuchs. Sie glauben nicht wie viele Löcher sich im Gehwegabschnitt vor dem Kindergarten befinden!

Muss Familie Life Science jetzt wegen dem Zustand der Fußwege in Berlin ein Auto anschaffen? Nur für den Kindergarten? So ein Unsinn.

Am Tag nach dem Unfall telefoniert sich Frau Life Science zur der Stelle in Berlin durch, die Meldungen von Straßenschäden entgegennimmt. Sie wird sie sogar irgendwann zurückgerufen zwecks näherer Beschreibung der genauen Position der Problemstellen. Dann geschieht nichts mehr.

Der Weg zum Kindergarten ist auch bei weitem nicht der einzige gefährliche Bereich im Stadtbezirk. Unweit des vorhin erwähnten Feuchtbiotops steht eine gotische Backsteinkirche, ebenfalls mitten auf der vierspurigen Straße. Nicht dass die Kirche klein wäre, sie bietet 300 Menschen Platz, aber sie steht da halt schon länger als die Leute Auto fahren, und kann nicht einfach zur Seite treten. Darum führen angrenzend ans Kirchenschiff rechter Hand zwei Autospuren stadteinwärts, links davon zwei weitere stadtauswärts. Ehre sei dem Brumm-Brumm, Halleluja! Direkt vor dem Gebäude, quasi auf der sakralen Verkehrsinsel, sind Fahrradständer angebracht. Aber kein Zebrastreifen und keine Fußgängerampel bahnen Menschen den Weg dorthin. Die Bordsteine sind natürlich auch nicht abgesenkt. Wenn eine Omma mit Gehwagen ein Orgelkonzert besuchen will, riskiert sie ihr Leben. Eine Stadt nicht für die Menschen, aber für wen dann?

Bei einem dieser nicht abgesenkten Bordsteine ist der Kleine schon am heiligen Sonntag mit seinem Fahrrad gestürzt, wenigstens saß der Helm korrekt. Frau Life Science sicherte die Unfallstelle mit ihrer eigenen Person, in dem sie sich auf die Straße stellte (man wirft ja als Eltern jederzeit sein eigenes Leben für das des Kindes hin, keine Frage), während der Lifescientist dem Unfallopfer aufhalf.

Gefahrenstellen noch und nöcher. Aber just am heutigen Montagmorgen, 8:30 Uhr, werden Frau Life Science und ihr Kind Zeuge einer aufwändigen baulichen Instandhaltungsmaßnahme – vor der neuen Kita, und zwar genau auf dem Gehweg, dessen Zustand Frau Life Science vor wenigen Wochen telefonisch beanstandet hatte. Ja, ist denn das die Möglichkeit? Es geschieht etwas! Auf Anruf!

Faszinierend. Wenn das so gut funktioniert, muss sie gleich noch einmal telefonieren:

Frau Life Science wählt Nummer…

– „Tiefbauamt Berlin, Lüske am Apparat, guten Tag?!“

– „Guten Tag, mein Name ist Life Science. Ich möchte eine gefährliche Stelle melden, Steglitz-Zehlendorf.“

– „Aha, gefährliche Stelle, sagen Sie. Wo genau ist die?“

– „Das sagte ich bereits, Steglitz-Zehlendorf.“

Solange die Bauarbeiten großräumig andauern, hat Familie Life Science eine Lösung für ihr Mobilitätsproblem gefunden: ein faltbarer Bollerwagen. Den hatten sie sowieso im Keller stehen. Passt in jeden Bus und der Kleine Indianer genießt es, seine 900 Meter durch die Stadt gezogen zu werden. Er ist übrigens nicht der einzige. Faltbare Bollerwagen sind en vogue.

Die Anschaffung eines motorisierten Stehzeugs, ähh, Fahrzeugs kann Familie Life Science also noch eine Weile aufgeschieben.

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