(442) Liebes Kind: Bitte belästige uns nicht mit deiner Anwesenheit! Dein Kindergarten.

In der alten Kita vom Forschernachwuchs brennt die Hütte.

Es geht nun in die dritte Woche, dass die pädagogische Einrichtung „eingeschränkt betriebsfähig“ ist. Das Problem: hoher Krankenstand bei genereller Unterbesetzung. Offenbar spielen die Bakterien und Viren Ping-Pong mit dem pädagogischen Personal. Was möglicherweise sonst noch im Argen liegt, kann und will Frau Life Science nicht beurteilen.

Eingeschränkt betriebsfähig heißt, der Kindergarten öffnet seit Wochen später und schließt früher. Es heißt aber auch, nicht alle angemeldeten Kinder dürfen kommen. Rechtliche Gründe. Eine Handvoll Erzieher können nun mal keine hundert Kinder betreuen, ohne dass vielleicht etwas Schlimmes passiert.

Eltern organisieren nun in Eigenregie online-Listen via Doodle, wer die limitierten Plätze Tag für Tag in Anspruch nehmen darf. Eine Arbeitgeber-Bescheinigung, die die Unentbehrlichkeit der elterlichen Arbeitskraft für den Wirtschaftsstandort Deutschland nachweist (oder so ähnlich), ist hilfreich, aber keine Garantie dafür, sein Kind untergebracht zu kriegen. 

Beinahe täglich kommen neue Wasserstandsmeldungen aus dem Leitungsbüro direkt in den WhatsApp-Eltern-Chat. Auf vorsichtige Entwarnungen folgen neue Hiobsbotschaften. Es geht Schlag auf Schlag. Manche Eltern ignorieren die Doodle-Listen und geben einfach ihr Kind morgens im Kindergarten ab, ehe sie weggehen. Streit in der Community  ist vorprogrammiert.

Neuester Stand: Morgen früh nimmt der sogenannte Elementarbereich dreißig von eigentlich sechzig drei- bis sechsjährigen Kindern auf, danach ist Schluss. First come, first served. Die Tür ist zu, mehr geht nicht. Reise nach Jerusalem, mal anders!

Im Eltern-Chat geht es heiß her. Wer letzte und vorletzte Woche schon Betreuung in Anspruch genommen hat, soll doch diese Woche mal zurücktreten, heißt es. Hausfrauen und geringfügig Beschäftigte haben sowieso das Nachsehen, aber das nur nebenbei. Es kommt zu sozialen Verwerfungen.

Aber es gibt auch viel Zusammenhalt. Wir schaffen das! Verfügbare Eltern betreuen andere Kinder zuhause mit. Helfen im Kindergarten aus, trotz rechtlicher Einschränkungen. Großeltern laufen zur Hochform auf. Ein Junge aus der Nachbarschaft von Frau Life Science lebt seit drei Wochen bei Oma und Opa in Brandenburg. Die berufstätigen Eltern besuchen ihn ab und zu. Ach Kind, du hast dich aber verändert! 

Und die Kinder? Die werden es spüren, dass sie eine Belastung sind. Das keiner sie freudig erwartet. Ihr Bedürfnis nach emotionaler Zuwendung, nach Bildung und nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe wird mit Füßen getreten.

Der wirtschaftlichen Schaden durch Arbeitsausfall der Eltern kann keiner genau beziffern.

„Eine Bankrotterklärung!“, sagt der Lifescientist. „Wenn eine Einrichtung ihren eigenen Auftrag nicht mehr erfüllt. Das ist ja, wie wenn ein Krankenhaus sagen würde: wir behandeln dich nicht“. Tja, Lifescientist, auch das gibt es.

Das mit dem nicht betriebsfähigen, aber sehr großen Kindergarten ist eine soziale Katastrophe, die eigentlich auch in die Zeitung gehört, selbst wenn es nicht um Leben und Tod geht. Aber bis jetzt steht´s eben nur nur hier im Blog.

Man sollte die Abgeordnetenbüros im Bezirk belagern. Die Bezirksbürgermeisterin nerven und alle Stellen der Kita-Verwaltung mit Anrufen belästigen. Das Regionalfernsehen einschalten. Am Rathaus Steglitz mit Eltern und Kindern demonstrieren. Zeit hätte man ja – man kann ja eh nicht zur Arbeit.

Drei- bis Sechsjährige brauchen Bildung und Betreuung! Für Frau Life Science ist es, als wäre die Grundschule drei Wochen  zu.

Es. geht. gar. nicht.

Der Forschernachwuchs jedenfalls brachte heute ein Quadrat aus Bügelperlen, eine selbst ausgeschnittene rosa Faschingsmaske mit Glitzer und den spontan ausgesprochenen englischen Satz „No, I want to do it!“ aus der neuen Kita mit und Frau Life Sciences Dankbarkeit kennt keine Grenzen.

Morgen geht er allerdings nicht zu den Indianern, sondern freut sich schon vormittags auf Besuch von seinem alten Kita-Kumpel, der plötzlich viiiiiel Zeit zum Spielen hat. Juhu!!!

Ein Bügelperlenbild ist mehr als die Summe seiner Teile

6 Gedanken zu “(442) Liebes Kind: Bitte belästige uns nicht mit deiner Anwesenheit! Dein Kindergarten.

  1. Euch einen schönen Tag. Würde man (deutschlandweit) das Ansehen und das Gehalt des pädagogischen Personals steigern, würden sicherlich mehr Menschen diesen schönen Beruf ergreifen, man könnte ausreichend Springkräfte einstellen und und und und…..

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  2. Hast du schon gelesen, dass sie aufgrund des Fachkräftemangels jetzt auch noch Quereinsteigern die Tür zum Erzieherberuf öffnen wollen? Nach zwei Wochen „intensiver Einarbeitung“, das ich nicht lache! Wir erinnern uns mit Grausen um die Debatte über die „Schlecker-Frauen“ anno dazumal. Und das bei dem gleichzeitigen Ruf nach Professionalisierung, neuen Frühpädagogikstudiengängen und allem Pipapo. Es ist so bäh. Es geht hier schließlich um unsere Kinder, wollen wir wieder Verwahranstalten oder doch lieber Bildungseinrichtungen?! Puh, guter Beitrag übrigens…

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