Unalltag 21

Die Bücherei hat geschlossen. Das Konvolut geliehenerer Bücher wurde kurz nach der Schließung ohne Zutun des Ausleihers bis zum Sankt Nimmerleinstag automatisch verlängert, und da sitzt Familie Life Science nun mit den immer gleichen Feuerwehrmann Sam-Abenteuern bis zum Abwinken. Hätte man das vorher gewusst mit dem teilweisen Lockdown, hätte man sich etwas Vernünftiges eingepackt.

In Pontypandy, dem Lebensmittelpunkt von Feuerwehrmann Sam, lebt man gefährlich. Die paar Bewohner können kaum aus dem Haus treten, ohne von einer Windböe erfasst, einem herabstürzenden Felsen bedroht oder sonst etwas Lebensgefährlichem heimgesucht zu werden. Die Kinder und Erwachsenen dieses vom Heiligen St. Florian verfluchten Ortes verunglücken in einem fort. Pfadfinderlager? Endet in einem Waldbrand. Kindergeburtstag? Nach fünf Minuten muss Sam ausrücken.

Der Forschernachwuchs lebt voll mit. Auch in den Animationssendungen. „There´s a fire at the Hotfish-Café“, kann man hin und wieder aus seinem Zimmer hören, wenn er mal drei Minuten alleine spielt und die berühmten Szenen aus Pontypandy mit seinen Feuerwehrautos nachstellt. Aber das mit dem Englisch wird auch immer weniger. Kein Wunder, nach drei Wochen Kita-Schließung und Kontaktsperre mit der englischsprachigen Babysitterin.

Von Zeit zu Zeit wird selbst mit Sam zu langweilig. Dann greift der Forschernachwuchs tief in den durchgelesenen Kinderbücherschrank – und greift zur Kinderbibel. Darin geht es auch um Leben und Tod, allerdings sterben die Leute „echt“. Der Riese Goliath liegt mausetot auf dem Boden. In Wort und Bild. Der Forschernachwuchs findet das sehr spannend.

Vielleicht liegt es an der besonderen Lektüre oder am ständig eingeschalteten Küchenradio, das in fort und fort das tägliche Dahinsterben in Zeiten von C. vermeldet wie das Wetter und die Lottozahlen.

Jedenfalls hat Familie Life Science jetzt die Vergänglichkeit im Haus.

„Wir sterben nie, geeeeeeeeellllll?“, möchte das Kind wissen.

„Jetzt nicht. Erst, wenn wir ganz fruchtbar alt und schrumpelig sind.“

Das ist schon nur die halbe Wahrheit, aber er akzeptiert sie natürlich nicht. Für Frau Life ist es ja auch nur dahergesagte Theorie. Die Aussicht auf einem Himmel, in dem es nichts Schlechtes gibt, keinen Streit, kein Hauen und keine Langeweile und schon gar kein Corona, beruhigt den Forschernachwuchs nicht.

„Wir sterben nicht, wir bleiben immer zusammen. Wir rennen einfach weg. Ich und du und Papa, wir rennen einfach. Ganz schnell. Gell, Mama?“.

 

 

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