Unalltag 23

Das mit dem „Miau“ ist nicht besser geworden. Wenn man es verbietet oder ignoriert, wird nur noch mehr miaut.

Familie Life Science gehört bis jetzt nicht zu den Geschädigten der Krise. Keiner ist vorerkrankt, Gehaltszahlungen treffen regelmäßig ein, in der Wohnung ist genug Platz und der Spielfreund ist öfter mal einen Tag lang zum gemeinsamen Miauen verfügbar (Frau Life Science wird sich übrigens hüten, eine zweite offizielle Meinung hierzu einzuholen, solange ihr die erste zusagt).

Die Abwesenheit von Unglück ist immer noch kein Glück.

Es ist die Perspektivlosigkeit. Man kann ja auf vieles verzichten, wenn man etwas hat, auf das man sich freuen kann. Was aber wäre das jetzt? Eine Reise? Familienbesuch in Süddeutschland? Ausflug zum Wannsee-Bad? Bloggermesse? Kindergeburtstag?

Äh ja. 2021 vielleicht? Frühestens?

Nicht einmal die Einstellungsgespräche für den Schuldienst können stattfinden. Schule ja auch nicht.

Morgen wäre die Taufe des Forschernachwuchses gewesen. Sie ist mittlerweile gedanklich so fern, dass Frau Life Science nicht einmal traurig ist. Zumindest nicht darüber.

In Lichterfelde West hat die beliebte Eisdiele zum Außer-Haus-Verkauf geöffnet. Die Sitzflächen vor der Eisdiele sind gesperrt, aber es gibt ja Parkbänke und dergleichen, außerdem hat die Kneipe nebenan geschlossen und die Bürger nutzen einfach die dort vorhandenen Sitzgelegenheiten zum Eisverzehr. Man ist da ja flexibel.

Das ergibt extrem viel Sinn, dass man das Eis nicht vor der Eisdiele, sondern auf der Terrasse der geschlossenen Wirtschaft gegenüber einnimmt. Die Maßnahmen zur Eindämmung unser aller Pandemie treiben so manche seltsame Blüte.

Beim Eisessen vergisst Frau Life Science kurz, dass alles anders ist als letztes Jahr, aber es dauert nicht lange, da fällt ihr wieder ein, dass es außer Eis heute nichts Besonderes mehr gibt. So wie gestern und morgen.

Familie Life Science hatte in Berlin noch keine Mikrowelle. Es fehlte der Platz und die Notwendigkeit.
Jetzt hat Frau Life Science im Nachbarschaftsnetzwerk doch eine gebraucht erstanden, kontaktlos versteht sich, und der Forschernachwuchs war außer sich vor Euphorie. „Waaaas, eine Mikrowelle?“ Schon als sie noch im Hausflur stand, drehte er an allen Knöpfen, lies den Türmechanismus aufschnappen und brachte das Glöckchen zum Klingeln.
Kaum in die Steckdose eingesteckt, wollte er alles Mögliche darin erhitzen und kochen, und war sturzbeleidigt, als er erfuhr, dass man Milchreis und Grießbrei trotz des Wunderdingens immer noch im Topf kocht. Nun möchte er dauernd Reste warm gemacht bekommen, egal was, Erbsen oder Bratensoße, und er lässt bei jedem Mittagessen bewusst Reste übrig, um sie später erhitzen zu können.
Jetzt ist es raus: Andere Kinder freuen sich über Playmobil, der Forschernachwuchs träumte von einer Mikrowelle. Ein „ideales“ Spielzeug… Man müsste sie ihm direkt ins Zimmer stellen. Feuerwehrmann Sam wird´s dann schon richten.

In den letzten Wochen hat Frau Life Science mit ihrem Kinde manch Osterbastelei angefertigt. Es sieht nur nie aus wie bei Pinterest. Das Salzteig-Ei ist ein riesiger Fladen, nach dem Bemalen wird es nur noch wüster, weil die Farbe das zart eingeprägte Muster auffüllt und fast komplett zum Verschwinden bringt.
Das Eierfärben bringt Frau Life Science an den Rand des Wahnsinns und sie muss sich hüten, gegenüber ihrem Kind und in Anwesenheit des relativ sensiblen Gastkindes ausfällig zu werden. Oder wurde sie es? Sie ist sich nicht sicher.
Über das Ausblasen von Eiern möchte sie eigentlich gar nicht sprechen. Dass es im Gesicht weh tut, dass man das ganze Rührei niemals wirklich verwendet, wenn man ehrlich ist, dass man immer rohes Ei im Mund hat, an den Fingern sowieso, dass der Schmodder noch drei Tage später aus dem Ei rausläuft (NACH dem Bemalen), und dass es Plastikeier für 99 Cent im Zwanzigerpack zu kaufen gibt.
Die recht ansehnlichen Ergebnisse der dekorierten Eier hütet der Forschernachwuchs in einem versifften geschlossenen Eierkarton, sie dürfen nämlich NICHT zur Freude der Infektionsgemeinschaft in einem Osterkörbchen auf dem Tisch drapiert werden, damit‘ s da endlich mal aussieht wie auf Instagram. Den Aufhänger, den Frau Life Science mit letzter Geduld an einem halben Streichholz in das schmale Löchlein pfriemelte, hat der Forschernachwuchs abgerissen, fand er blöd, und eines der Eier ist jetzt nur noch halb ganz.

Frau Life Science wünscht allen Lesern

Frohe Ostern 2021.

2 Gedanken zu “Unalltag 23

  1. Kaffee trinken. Ich vermisse auswärts Kaffee trinken sooo sehr. Heute habe ich geweint. Nicht viel, aber Tränchen sind gelaufen. Weil ich nicht mit dem Ehemann auswärts Kaffee trinken kann. Nicht viel geweint. Nur so ein bisschen. Urlaub war für uns schon lange nicht mehr möglich, schon vor Corona (echt, wenn einer jammert, dass er nicht mehr in Urlaub fahren kann, denke ich so ein bisschen arrogant verächtlich: „Du Anfänger!!!“) Aber noch nicht mal mehr auswärts Kaffee trinken… *noch ein Tränchen verdrück*

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    1. Verstehe ich total, SamyBee. Die Zerstreuung, das Leute Beobachten, der Tapetenwechsel. Bewusst Zeit miteinander verbringen. Manchmal sind es die sogenannten kleinen Dinge. Hoffentlich findet ihr ein Ersatzritual – bis auswärts Kaffee Trinken wieder geht.

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