Dass Kinder beim Sprechen lernen Schwierigkeiten haben, kommt sehr häufig vor. Manche Kinder sprechen in den ersten Lebensjahren noch undeutlich und werden fast nur von Eingeweihten so ungefähr verstanden. Andere reden erstmal gar nicht, da kannte Frau Life Science auch mal einen Dreijährigen, den sie in ihrer USA-Zeit gebabysittet hatte. Sie glauben nicht, wie viele TherapeutInnen da pro Woche im Haus aus- und eingingen, wie viel Therapieknete verbraucht, Handpuppen angewandt und begleitete Spielplatzbesuche nötig waren, bis beim jüngsten Sohn der Familie die ersten Sätze rausploppten. Dieselbe Stimme wie der Bruder und nicht eine einzige winzige Schwierigkeit, Laute zu bilden und Sätze zu formen.
Der Forschernachwuchs hat keine Schwierigkeiten beim Sprechen. Eher beim Aufhören. Frau Life Science ertappt sich dabei, dass sie „Kind spricht ohne Punkt und Komma, woher kommt es und was kann man tun“ googelt. Vom Aufwachen morgens bis zum Einschlafen am Abend ist das Plappermäulchen in Bewegung. Beispiel gefällig?
Mama, ist schon Abend? – Nein, erst Mittag – Wann gehen wir wieder nach Butzenhausen? – im Juli mein Schatz, dauert noch, jetzt ist noch Juni – Mama schau mal was ich gebaut habe – Tolle Landschaft! – Willst du meinen Brückentunnel sehen? – Zeig mal, Wow! –Schau mal, was findest du besser oben oder unten? – Oben! – Und was findet du am Allerbesten? – Vielleicht unten? Mama, weißt du wie der Zug heißt – Nein, wie heißt er? – Er heißt Zugi. Und weißt du wie der Laster heißt? Mama, wie er heißt? Mama, er heißt Lasti. Wie gefällt dir der Name Lasti? Der Betonmischer heißt Mischi. Mama, Mischi fährt zu einer Baustelle. Mama, der Beton ist eingetrocknet. Darum dreht er sich jetzt, damit er wieder flüssig wird. Mama, es wird ein Schwimmbad gebaut. Weißt du, wie das Schwimmbad heißt?
Sie ahnen es: es heißt Schwimmi.
Das Beispiel hier endet, im realen Leben setzt es sich endlos fort. Auf dem Fahrrad, im Sandkasten, in der Badewanne. Das Schnäbelchen verstummt nur, wenn der Forschernachwuchs a) isst, b) Kindervideos anschaut oder c) beides macht.
Den Eltern klingeln schon die Ohren. Der Lifescientist hat sich kurz seiner Spiel-Schicht entzogen, lässt sich aufs Bett fallen und stöhnt: „Oh Mann. Er ist schon wieder auf Hundertachtzig.“ „Wem sagst du das?“, erwidert Frau Life Science von ihrem Pausenplatz aus, der sie akustisch nur unzureichend abschirmt.
Wenn man wenigstens immer nur „Jaja“ sagen könnte, wie wenn Tante Hiltrud anruft. Aber der Forschernachwuchs verlangt qualifizierte Antworten. Um das aktive Zuhören seines „Gesprächspartners“ sicherzustellen, hat er gewisse Fragetechniken etabliert, die ein inneres Abtriften desselben beinahe unmöglich machen.
…gell, Mama? („gell“ ist das „Wa?“ des Badeners)
…oder, Mama?
…stimmt´s, Mama?
…verstanden, Mama?
…weißt du, Mama?
Es gibt Momente, inbesondere nach zweieinhalb Monaten Kleinfamilie, da erteilt man seinem Kind Sprechverbot.
Jetzt bist du aber mal still, Schatz.
Nix ‚Mama‘, ich kann jetzt nicht mehr zuhören.
Klappe halten, auf die Straße gucken!
Nicht dass es helfen würde… Außer einer strapazierten Kinderseele erzielen Sprechverbote nicht die geringste praktische Wirkung.
Am Montag geht der Kindergarten wieder los. Für den Forschernachwuchs bedeutet das jede Menge Gelegenheiten, ein paar Gesprächseinheiten loszuwerden. In Deutsch und Englisch, falls da noch was funktioniert.
Und was dann noch an Satzmaterial übrig ist, das darf er am Nachmittag und am Abend gerne zuhause anbringen. Herr und Frau Life Science sind dann ganz Ohr.
Das sind erholsame Aussichten…
Gell?
Ich leide mit und lache trotzdem. Wart nur, bis er 14 ist und du versuchst, beim Mittagessen ein Gespräch zu führen. Da freust du dich über jeden Satz mit mehr als drei Worten. Ist ja nicht mehr lang hin. Nur noch 10 Jahre oder so. 😉
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in 10 Jahren werde ich an dich denken, Jonna!
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😂 Wie kommt es bloß, dass mir das so bekannt vorkommt!… Wir hatten hier beides: erst bis fast drei nur Sprachversatzstücke, was manche Kindergartenpädagogin schon hyperventilieren ließ; inzwischen wird sogar der Klogang eloquent kommentiert… Und in ein paar Jahren ja vielleicht wieder Schweigen, wenn ich den Kommentar meiner Vorrednerin so lese… Tja, die Zyklen des Lebens…😉 Herzlichen Gruß!
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Ob sie vor sich hinblubbern oder schweigen, sie sind ja doch genau richtig so wie sie sind…
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