Viel Geburtstag zum Glück

„Das sind vürzich Perlen“, behauptet das große Kind. Vürzich??? Ist das zu fassen? Dass das Kind SO spricht? Vürzich hat im Hause Life Science keiner jemals gesagt. Da verwettet Frau Life Science mindestens ebensoviele Euros.

Wenn ein Kind mit den Jahren anfängt, seine Kita-Umgebung sprachlich zu spiegeln, anstatt die eigenen Eltern, hat das eine ganz merkwürdige Wirkung auf ebendiese. Vürzich. Abgefahren! Was kommt als Nächstes? Mettbrötchen zum Frühstück?

Dieser Tage ist der Lifescientist vürzich geworden und der Forschernachwuchs sechs. Also zwei runde Geburtstage – oder sehen Sie, dass die Ziffer irgendwo 6 Ecken hat?

Von unmittelbar aufeinanderfolgenden Geburtstagen in der Primärfamilie ist übrigens unbedingt abzuraten. Es sucht einen heim wie Weihnachten, so schlimm. Man weiß es lange genug vorher – und schafft es trotzdem nicht. Ein Scheitern mit Termin und Ansage.

Als wäre so ein Doppelgeburtstag nicht schwierig genug, ging in genau der Woche auch noch die Waschmaschine kaputt. Raten Sie mal, wann der Mechaniker frühestens Zeit hatte? Am Vürzichsten, versteht sich.

Der Handwerker mit dem besonderen Gefühl für Timing diagnostizierte Elektronikschaden: Reparatur so teuer wie eine Neue. Die Maschine ist keine drei Jahre alt. Aber hey, wenn jeder Bürger so vürzich elektronische Großgeräte in seinem Leben verschleißt, brauchen wir uns als Gesellschaft ums Klima und so auch groß keine Sorgen mehr zu machen.

Am Vürzichsten musste also nicht nur Handwerkertermin stattfinden, sondern der Forschernachwuchs auch noch zu einer Kinderfeier chauffiert werden, die nachgeholt werden musste, weil die eigentliche ins Wasser gefallen war, bzw. umgekehrt, das Wasser war in die Feier gefallen, und zwar von oben. Die Gäste mussten ungefeierter Dinge nach Hause gehen. Je länger das Kind in Berlin hockt, desto weniger abkömmlich scheint es. Seine Nichtanwesenheit auf der Nachfeier war – Vürzichster hin oder her – undenkbar. Gefeiert wurde eine Einschulung, auf neue Art, und Frau Life Science ist der befreundeten Familie sehr dankbar, dass sie die Tradition „Einschulungs-Quadfahren“ rechtzeitig in Steglitz-Zehlendorf ins Leben gerufen hat, der Forschernachwuchs macht jedenfalls bereits Pläne für 2022.

Da Berliner Berufsverkehr und Kinderparty ein ideales Programm zum Vürzichsten schienen, übernahm der Lifescientist den Taxi-Dienst inklusive Aufenthalt auf der Quad-Bahn (die Alternative wäre weiterer „echter“ Strassenverkehr gewesen) und Frau Life Science versuchte solange, die eigenen Feiern vorzubereiten.

Sie lief also samt Herzmädchen wie eine Irre durch ihr Einkaufsvürtel und raffte irgendwelches Zeug zusammen, das neben dem zuvor schon online bestellten noch zu fehlen schien.

Jede Woche In Notsituationen kauft sie online und manchmal sogar bei diesem a, das uns gesellschaftlich enorm weiter bringen wird und das ökologische Nachhaltigkeit und Ethik als oberstes Geschäftsziel verfolgt.

Ein solcher Kauf war bei Hermes abzuholen, als Mutter hatte sie es bestellt für den Fall, dass am Geburtstag das Jugendamt kontrollieren käme, ob ausreichend geschenkt wurde. Es wurde ihr an der Abholstelle ein Paket überreicht, in dem auch eine neue Waschmaschine Platz gehabt hätte, es war aber keine drin, nur das Brettspiel namens Spinnenspucke, Krötenschleim. Des überdimensionalen Kartons entledigte sie sich an einem Container, behielt das Spiel in der Einkaufstasche und ging bei REWE einkaufen.

Im REWE legte sie dann in Gedanken bei der Waschmaschine das ganze Zeug auf das Kassenband, ja, das ganze Zeug. Also auch Spinnenspucke, Krötenschleim. Die Kassiererin zog die Ware übers Band, alle, auch das Spiel, als Frau Life Science „Stopp“, rief, aber zu spät, die Kasse hatte schon 25 Euro abgebucht für ein Spiel, das sie gar nicht im der Auslage hatten (sonst hätte Frau Life Science es vorher mal gesehen und gekauft), aber jetzt beweisen Sie mal, dass sie das Spiel, dass da nackt auf dem Kassenband liegt, gerade bei Hermes abgeholt haben. „Moment, ich muss mal eben den Marktleiter rufen…“

Das Spiel, das so viel Theater verursacht hatte, sollte dann übrigens gar nicht mehr zum Einsatz kommen. Der Lifescientist legte ein Veto ein, denn er hielt es für überschenkt, und Frau Life Science packte es in den Schrank für die nächste Gelegenheit: Nikolaus.

Da acht Kinder auf der Einladungsliste standen, die sich aus nicht weniger als fünf Vorschulgruppen und Schulklassen rekrutierten, wurden zum Zweck Kontaktreduktion zwei Feiern hintereinander anberaumt. So war zumindest nicht jeder, inklusive anliefernder Eltern, von jedem die potentielle Kontaktperson ersten Grades. (Familie Life Science ist so durchgeknallt und bezieht nach fast anderthalb immer noch die Pandemie in ihre Alltagsplanung ein.)

Bzw. ist sie ist so durchgeknallt und lädt acht Kinder zu einer Party im Corona-Herbst 2021 ein.

Man hat eben gesellschaftliche Verpflichtungen als Sechsjähriger: Einladungen, Gegeneinladungen und so fort.

Am Abend nach dem chaotischen Einkauf kamen das Geburtstagskind und der Einschulungspartygast nach Hause, letzterer stand in Socken vor der Tür, denn er war mit seinen Turnschuhen in Hundekot getreten. Der Lifescientist hatte vorsichtshalber die Schuhe im Kofferraum gelassen. „Kein Problem“, beruhigte Frau Life Science, „die können wir ja in der Wa…“

Konnten sie aber nicht, und daher fuhren die stinkenden Schuhe tagelang im Kofferraum durch Berlins Süden und verbreiteten ihre Duftnote im Fahrzeug, bis sich Frau Life Science ihrer erbarmte.

Die erste Kinder-Party ging am nächsten Tag über die Bühne, aber erst bei der zweiten Party am übernächsten Tag, die als die stressigere galt, kamen die Eheleute Life Science so richtig auf den Geschmack, ein wundersamer Kindergeburtstagsflow kam auf, sie saßen auf der Bank und sahen den Kindern zu und dachten sich: Kindergeburtstag, wie leicht ist das denn. Sie hatten sich eingegrooved.

Zur großen Freude des Geburtstagskindes brachte ein Gast ein flaches, rechteckiges Geschenk mit, das sich als das Spiel Spinnenspucke, Krötenschleim herausstellte. Das zeigte Frau Life Science einmal mehr, dass ihre ganze Aktion mit dem Spiel völlig unnötig gewesen war und der Lifescientist mal wieder recht gehabt hatte.

Ob sie Spinnenspucke, Krötenschleim bei REWE umtauschen sollte?

Am Morgen nach der ersten Party hörte Frau Life Science ein piepsendes „Happy Birthday“ aus dem Treppenhaus und fragte sich, ob noch jemand im Haus so ein komisches Feuerwerk wie sie es selbst am Vortag hatten, auch zufällig heute zur Anwendung bringen würde, bis sie die Tür öffnete und die zugebundene Mülltüte erblickte, die zum Runterbringen gerichtet war. Da hatte sich die elektronische Geburtstagsfontäne, die zur einmaligen Anwendung gebaut war, selbst aktiviert und dudelte in einem fort, wahrscheinlich schon die halbe Nacht.

Frau Life Science fragte sich, ob nach der ausgiebigen Feier im Innenhof und vor der nächsten Feier ebendort die Nachbarn noch ausreichend Verständnis haben würden für eine singende Mülltüte in der Gemeinschaftstonne. Eher nein. So sah sie sich gezwungen, den schwarzen Beutel zu öffnen und sich eigenhändig durch Partyreste und frittierte Dinos zu fühlen, die nicht gegessen worden waren, sowie durch kalte Pommes und Keramikscherben und sie konnte sich nicht erwehren, darin die gerechte Strafe zu erkennen für das ganze ökologisch-soziale Fehlverhalten, mit dem die ihrem Kind zum Geburtstag die Ehre erweisen wollte. Zu viel Plastik, zu viel a und zu viel Elektroschrott. Hier ist dein Müll, fasse alles nochmal an, so kommst du nicht davon, schien ihr das dudelnde Feuerwerk vorzusingen.

Nächstes Mal muss es anders laufen; da wird die Geburtstagseinladung mit Bleistift auf ein Ahornblatt geritzt, es werden auf der Feier Pfeil und Bogen aus Haselzweigen angefertigt und am Schluss gibt’s Lagerfeuer mit verkohltem Stockbrot, anstelle von Frittaten aus Pressfleisch.

4 Gedanken zu “Viel Geburtstag zum Glück

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