Die Spur des Geldes

Frau Life Science war mit der Einjährigen auf dem Weg zur zweiten Covid-Impfung. Sie nahmen den Bus, weil das Auto kaputt ist.

Nun kann man natürlich fragen, ob mit dem Bus zum Impfen so eine gute Idee ist. Wie wenn man auf dem Weg zum Fahrradhelm kaufen freihändig fahren würde. Aber da Frau Life Science nicht einmal wusste, ob der vorgezogene Termin überhaupt klappen würde, und die Ärztin ihr entgegenkäme, brachte sie es als genetische Schwäbin nicht fertig, hierzu ein Taxi zu rufen. Überhaupt ist Bus fahren das Highlight des Tages für die Kleine.

Wie immer kam das Gespräch unter den sich gegenseitig unbekannten Fahrgästen auf unser aller Corona. Ob sich jemand weg gesetzt hatte aus Angst oder vielleicht aus anderen Gründen.

„Ich habe keine Angst“, versicherte eine gepflegte Dame im ungefähren Rentenalter. Und nach einer wirkungsvollen Pause: „Ich bin Virologin.“

Als keiner nachfragte, begann die Kurzhaarige mit ihrem Initiativvortrag, der sich formal an ihren Gegenübersitzer richtete, aber eigentlich an den ganzen Bus.

Coronaviren gibt es schon immer – nur Vorerkrankte sind betroffen – Es gab im Jahr XY soundsoviele Grippetote – Folgen Sie der Spur des Geldes – Alles, was Sie brauchen, ist ein gutes Immunsystem – Gehen Sie viel an die frische Luft…

Die ganzen Plattitüden in Gestalt einer überlegenen Erkenntnis, der Steglitzer Öffentlichkeit in der Linie 85 kostenlos und unverbindlich zur Verfügung gestellt. Schönen herzlichen Dank!

Beinahe wäre Familie Life Science versehentlich der Spur des Geldes gefolgt und hätte sich irrtümlich vor einer Virusinfektion zu schützen versucht, bzw. zwei Jahre macht sie das jetzt schon, aber es ist nie zu spät, damit aufzuhören. Man muss nur die richtigen Leute im Bus treffen.

Die Ärztin in der Hausarztpraxis gewährte den vorgezogenen Termin (Grund war der ambitionierte Impfkalender des Kindes mit anderen Immunisierungen, die abgestimmt werden wollten).

Die Einjährige steckte kopfüber in der Spielkiste, als die Ärztin sie persönlich abholte. „Kann Ihre Tochter eine Maske tragen?“, fragte die Medizinerin. „Haben Sie es mal probiert?“

„Das klappt nicht.“

Sie wurden in eine Rumpelkammer abgeführt, deren Anblick man eigentlich keinem vertrauensvollen Patienten zumuten konnte. Auf ausrangierten Flachbildschirmen waren (wirklich!) obendrauf Leitz-Ordner mit Patientenakten aufgetürmt. Das Ganze stand kurz vor dem Einsturz.

Frau Life Science begann sich wie eine Belastung zu fühlen. Wegen ihnen hatte der Termin schon zweimal verschoben werden müssen, einmal vor und dann wieder zurück – der kompliverzwickte Impfkalender. Und nun gefährdete die Einjährige die Patientenschaft in der Hausarztpraxis mit ihrer ungefilterten Atemluft und belagerte die nicht öffentlichkeitstaugliche Rumpelkammer. Die Kleine hatte auch schon aufs Kunstleder gesabbert. Wo war doch gleich das Desinfektionsmittel? Ach, Mann.

Wer kann Frau Life Science mal schnell aus dieser Pandemie abholen?

Die Impfung erfolgte ansonsten problemlos, die Kollegin der Ärztin übernahm, offenbar hatte Letztere selber heute keine Zeit, es war ja auch nicht der richtige Termin, aber warum schwänzelte sie dann immer noch hier herum, wenn sie es so eilig hatte?

Na, weil, und das kam Frau Life Science plötzlich: die Ärztin die negative Spritzenerfahrung des Kindes nicht auf eine Frau mit dunkelblonden Haaren generalisiert haben wollte. Hier ging es nicht um Zeitersparnis, hier ging’s um Psychologie.

Und die Sorge wegen der „fehlenden“ Maske (undenkbar in dem Alter!) galt niemand anderem als dem Kind selbst. Schließlich gehen in der Hausarztpraxis auch Infizierte ein und aus. Die Ärztin wollte einfach das Kind schützen.

Frau Life Science ist gerührt von dieser Frau aus dem ganz anderen Kiez, die sie nie wiedersehen wird, und deren Berufsethos seinesgleichen sucht.

Solche Erfahrungen kam man machen, wenn man der Spur des Geldes folgt.

Ein Gedanke zu “Die Spur des Geldes

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