Fussballpädagogik

Wenn man den Großen morgens zur vereinbarten Zeit beim Fußballcamp abgibt, kriegt er, weil erster Tag ist, erstmal ein funkelnagelneues orangefarbenes Trikot ausgehändigt, das er sich hinter erstbesten Baum überzieht. Dann mischt er sich unter die anderen Orangefarbenen. Sehen aus wie kleine Müllmänner und -Frauen. Selber Farbton wie die BSR, deren Betrieb an die Anlage angrenzt. Ihrem Kind stehen starke Farben besonders gut, findet Frau Life Science.

Es gibt überhaupt keine Aufsicht. Die überwiegend minderjährige Trainerschaft ist noch anderswo beschäftigt. Alle Kinder kicken einfach wild herum. Erst viel später werden die Kids zusammengerufen und die noch herumstehenden Eltern weggeschickt.

Ob auch die Oma abholen dürfe, fragt ein Vater noch schnell, und wo man das angeben müsse. Ein Verantwortlicher winkt ab, das ginge schon klar, das Kind werde ja wohl wissen, wer die Oma ist.

Nach dem Morgenappell, soweit konnte Frau Life Science das Geschehen im Nachhinein rekonstruieren, gibt es immer Frühstück. Mit viel Nutella.

Den Rest des Tages spielen sie dann Fußball. Also wirklich nur. Wegen der außerordentlichen Hitze lässt man sie zwischendurch mal durch den Rasensprenger rennen. Die Trikots trocknen schnell..

Ein Elternteil stellt täglich leihweise einen blaugelben Vernebler von GLORIA bereit, mit dem man sonst Pflanzenschutzmittel im Garten versprüht. Hoffentlich wurde er dafür nicht auch schon verwendet? Hier dient er jedenfalls als tragbare Kinderdusche.

Auf einer Art Sackkarre ist ein Wasserkanister mit Auslaufhahn festgezurrt zum Selbstbefüllen der Trinkflaschen der jungen Sportler.

Irgendwann gibt es offenbar auch Mittagessen. Woher es kommt, wer es zubereitet und was es überhaupt gibt, ist völlig unklar. Gab ja kaum Infos. Keine 148 Zettel zum Ausfüllen, nur die Überweisung eines überschaubaren Betrags, fertig. Wer es unkompliziert mag, der ist hier richtig.

Als Frau Life Science am Nachmittag das Kind wieder unter allen anderen kleinen Müllarbeiter:innen gefunden hat, war es nicht ein einziges Mal auf der Toilette gewesen. In sieben Stunden. War ihm wohl zu weit nach hinten über die Anlage.

„Du musst mehr zum Essen mitbringen, wenn du mich abholst“, befiehlt er. Es hatte keinen Nachschlag bekommen. „Muss ja für alle reichen, sind so viele Kinder,“ sagt der Forschernachwuchs.

Im Schwimmbad, das sie anschließend angesteuern, schält sich das Kind aus den vom Sprenger nassen Socken, in denen es den ganzen Tag rumgestapft ist. Eine dicke Blase am Zeh löst sich im Badewasser auf.

Das Trikot ist verkleckert und muss wohl noch in die Waschmaschine, wenn der Forschernachwuchs morgen wieder Teil der kickenden Müllmanschaft sein will.

An einem Morgen stinken die Schuhe übelst nach Urin. Das Kind sagt, es wisse nichts. Ob es statt Toilettenbesuch auf die eigenen Füße pinkelt? Oder hat ihm jemand einen Streich gespielt? Beim Essen sind die ausgezogenen Schuhe – und sicher manches Kind – unbeaufsichtigt, das findet Frau Life Science heraus. Sie sieht den möglichen Tathergang bildhaft vor sich.

Er braucht sowieso neue Latschen, aber heute muss er mit den Stinkeschuhen gehen. Er hat schlicht keine anderen und Fußballschuhe sind Pflicht. Aber dem Kind ist es ziemlich egal.

So ziehen die Tage dahin. Plötzlich ist Freitag.

Frau Life Science überlegt noch, ob sie den Verein wegen Kindeswohlgefährdung anzeigen oder ihr Kind für die Herbstferien anmelden soll und tendiert zu Letzterem. Wenn das Kind wieder will – und das tut es.

Es war einfach eine super Woche.

Ein Gedanke zu “Fussballpädagogik

Hinterlasse einen Kommentar