Hand-Mund-falscher Fuß

„Wenn der Große über Schmerzen klagt, kann ich sofort den Arzt anrufen“, sagte Frau Life Science zu einer anderen Mutter beim Fußballturnier, und spielte damit auf das nicht so stark ausgeprägte Schmerzempfinden ihres Kindes an.

Wenige Tage klagte das Kind über Schmerzen. Im Mund. Bei so einem Zahnwechsel spielen sich ja auch die tollsten Sachen dort ab, das kann schon mal weh tun, oder? Es wird doch nicht die „Hand-Mund-Fuß-Krankheit“ sein? In der Kita hing neulich so ein Schild… Aber die Kleine hatte ja gar nix. Und überhaupt: die Bilder im Internet sahen ganz anders aus.

Gut, dass sie sowieso den Impftermin bei der Kinderärztin hatten, die Tetanus-Auffrischung des Großen war überfällig (und das im Immunologen-Haushalt!). Auch die Kleine brauchte noch ein paar Sticker für ihr gelbes Sammelheft von der WHO.

Der Wahnsinn Alltag mit zwei Kindern. Nach Schulschluss direkt nach Hause düsen, aber schnell, umpacken. Schulrucksack aus, Wickelrucksack an. Vorher irgendwelche Snacks reinstopfen. Essen darf ja nie ausgehen. Auf zum Kindergarten. Gehen Sie nicht über Los. Immer die Uhr im Blick. Dann mit dem Kleinkind zum Großkind in den Hort. „Los, Kind, wir müssen uns beeilen.“ Schnell, zum Bus. Nein, nicht rumkaspern, festhalten, Kinder! Sie schaffen es mit Glück rechtzeitig. Um halb zwei noch frisch geschriebene Klassenarbeiten eingesammelt, um 15:00 Uhr mit beiden Kindern und allen Zubehör in der Arztpraxis. Ein Triathlon ist ein Dreck dagegen. Und nein, die Termine lassen sich nicht günstiger legen. Man muss nehmen, was man kriegt.

Die Sprechstundenhilfe war der Meinung, der Termin wäre gar nicht heute, und weil Frau Life Science schon hier und da etwas verpeilt hat, ADHS lässt grüßen, hatte sie ganz schlechte Karten zu argumentieren. „Wo sie schon mal da sind können wir ja mal die Ärztin fragen“, meinte die Angestellte, später fand sie ein Post it auf dem Impfpass, der alle Terminirritationen aufklärte. Jedenfalls musste plötzlich nichts mehr gefragt werden. Frau Life Science nahm es still hin und war einfach nur froh, dass ihr Hirn ab und zu doch noch funktionierte.

Das mit Ach und Krach pünktliche Erscheinen zum strittigen Termin hatte sich in keinster Weise gelohnt. Zwei Stunden lang beschäftigte Frau Life Science ihre Kinder im Behandlungszimmer. “Nachts im Museum“ spielend, der Große gewinnt generell gegen Frau Life Science, und die Kleine hatte sowieso keine Ahnung, worum es überhaupt ging. Sie machte einfach alles nach, es musste ja schließlich schon irgendeinen Sinn ergeben, was ihre Leute so anstellten. Endlich hatte die Ärztin Zeit. Es hatte im Nebenraum einen Notfall gegeben.

Zum Impfen kam sie allerdings nicht mehr. Die Beschwerden des Großen. „Mundfäule“ brachte die Medizinerin ins Gespräch, klang ja toll, dann, nach Sichtung dreier winziger Punkte an seinem Handgelenk – ein Stecknadelkopf war eine Orange dagegen – sagte sie: „Hand-Mund-Fuß. Die Diagnose steht!“ Und die Kleine hatte es anscheinend irgendwie auch.

„Hand-Mund-Fuß“ war kein Kinderlied mit Bewegungsanteilen, à la „Head, shoulders, knees, and toes“, sondern eine viral verursachte Kinderkrankheit, die irgendwie doof war, so viel wusste Frau Life Science, und warum genau, das lernte sie jetzt:

Sie kostete den Forschernachwuchs sein einwöchiges Fußballcamp mit dem guten Kumpel, samt dem einen oder anderen Sleep over, und Frau Life Science ihren Schlaf in der Nacht (Schmerzensschreie), den Besuch von Familie X, das Treffen mit der Kollegin (Frau Life Science ist auch symptomatisch) und überhaupt.

Aber vor allem kostete sie: Frau Life Sciences erste Ferienwoche. Beide Kinder sind zuhause und möchten beschäftigt sein. Und getröstet. Freunde einladen ist nicht. Dabei wollte Frau Life Science neue Klamotten kaufen, zum Frisör gehen, das Bettchen aufbauen, das Kinderzimmer umgestalten, einen Stoffverteilungsplan erstellen (machen normale Lehrer angeblich VOR dem Schuljahr), eine Weihnachtsandacht ausdenken, die Klassenarbeit korrigieren, ein Regal aufhängen, die Fotos sichern sowie das eine oder andere Fotoalbum anlegen, Leute treffen und Leuten schreiben, die mal eine Antwort verdient hätten, und putzen und den Keller aufräumen, der seit einiger Zeit nicht mehr begehbar ist und ausruhen. Und die Ablage bearbeiten. Und. Und. Und.

Auch ohne Hand-Mund-Fuß ist das viel. Zu viel.

Klar, der Lifescientist ist auch noch da, aber auch für zwei Leute ist es viel.

Die Kinder werden immer älter und verständiger, man kann immer mehr Geistreiches mit ihnen anfangen und auch sie mit sich. Die Arbeit aber bleibt so lange liegen. So ist das einfach!

Die Erfahrung der von heute auf morgen gestohlenen, lange ersehnten persönlichen Verfügungszeit (Kinder in Betreuung und sie ALLEIN) hat Frau Life Science anscheinend um Jahre altern lassen. Beim Straße überqueren vor ALDI gibt ihr und der Kleinen ein Motorrollerfahrer den Vorrang. Gut hörbar und ohne jeden Zweifel sagt er beim Anhalten: „Erst kommt die Oma mit dem Kind“.

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