Bei Abfahrt schon am Ende

Als Frau Life Science jünger war, hatte das Reisen mit dem ICE immer etwas beinahe Nobles an sich. So ein ICE, das war schon was! Modern und schnell. Irgendwie hatte es auch mit Komfort zu tun (Nur was?) Man hatte ein Ziel, einen Plan und was zu Lesen. Feine Sache.

Inzwischen ist es ihr eine Belastung geworden. Eine Reise durch Deutschland in der zweiten Klasse und zwei Kindern – und sie ist bedient.

Da trifft Familie Life Science morgens am Berliner Hauptbahnhof ein. Frau Life Science ist froh, dass zuhause alle Fenster zu und die Herdplatten aus sind. Dass nach der langen Busfahrt alle Gepäckstücke noch da sind und erst recht die Kinder. Keins verletzt. Der Große muss aufs Klo. Driiiiiingend. Jetzt gehts aber gerade nicht!

Am Gleis die Anzeige: Der Zug fällt aus.

Oh Nein.

Mann kennt das ja, man muss dann zwanzigmal umsteigen und die alternativen Züge sind entsprechend überbelegt.

Der Zug fällt aus, aber fährt doch, ist dem elektronischen Spruchband zu entnehmen. Es herrscht jetzt kognitive Dissonanz am Bahnsteig. Dass der Zug nicht fährt und dennoch fährt? Unbekannte diskutieren hermeneutische Fragen.

Anscheinend ist einfach die Zugnummer eine andere, aber Abfahrtszeit, Gleis und Ziel sind nach dem Zugausfall gleichgeblieben. “Was interessieren mich Zugnummern, bin ich Autistin?”, denkt sich Frau Life Science erleichtert.

„Unsere Reservierungen“, fürchtet der Lifescientist und erinnert sich an letztes, vorletztes und vorvorletztes Mal, „dürften dahin sein.“

“Sind sie nicht”, verkünden Mitreisende, die auf krummen Wegen erfahren haben wollen, dass die Reservierungen nach wie vor gelten. Allgemeine Durchsagen sind ja noch nicht erfunden.

Da die Haltebereiche des Zuges auch der Geheimhaltung unterlagen, ist nun jeder Reisende maximal falsch eingestiegen. Nun beginnt die Jagd nach den Wagennummern mit den (unerwartet korrekt angezeigten) reservierten Plätzen.

Einmal den langen Zug entlang stolpern mit drei Gepäckstücken und zwei Kindern und mit all dem Gegenverkehr im Mittelgang, der dasselbe „Problem“ in umgekehrter Richtung hat. Und auf Klo war der Große immer noch nicht.

Moment, darf ich mal? Entschuldigung, wir müssten da durch, könnten Sie ganz kurz? Das Kind hier muss ganz dringend aufs Klo, Auwa! Entschuldigung. Sie zuerst?! Bitte! Danke.

Da sind sie ja, die 4 zusammenhängenden Plätze! Kinder krähen „Hunger!“ und „Durst!“ Anscheinend können sie ihre Vitalfunktionen nicht mehr lange aufrechterhalten, wenn nicht SOFORT das Essen…

Das Gepäck samt Fresstasche haben die Eltern nach den zwanzigsten Gerempel in Wagen 5 stehen lassen. Das muss jetzt einer holen…

Frau Life Science ist fix und fertig, noch ehe der Zug überhaupt die Stadtgrenze verlassen hat. Und jetzt 8 Stunden Kinder beschäftigen, samt Essenswurf und Maskenklau. Sehr lustig. Wo ist das Tablet?

Ja, es gibt Schlimmeres. Aber Frau Life Science fragt sich dennoch, warum sie ICE-Reisen immer noch gedanklich irgendwie mit Komfort verbindet.

Ein Gedanke zu “Bei Abfahrt schon am Ende

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