Fantasielos

Da kam die Schulsozialarbeiterin und fragte Frau Life Science (weil sie habe sich umgehört und jemand habe gesagt, Frau Life Science könne sie mal ansprechen, und ja, das tue sie also jetzt einfach mal, wenn es gerade ginge – ach sie warte hier gerade sowieso vor dem Sekretariat – dann frage sie sie also jetzt)

…ob sie nicht Lust habe, im Rahmen eines gesundheitsbezogenen Projekts an dieser Schule in der großen Pause Entspannungsübungen für das Schulpersonal anzubieten. Fantasiereisen und so.

In dem Moment als sie das hörte, verlor Frau Life Science die Kontrolle über ihr eigenes Gesicht. Es war die Frage, mit der sie am allerwenigsten gerechnet hatte. Die bloße Vorstellung, in der Pause eine Fantasiereise anzuleiten oder auch nur passiv daran teilzunehmen, löste bei ihr reflexhaft Entsetzen aus.

Sie konnte nur noch stammeln, aber die Schulsozialarbeiterin verstand sofort. Frau Life Science wollte also keine Entspannungsübungen anbieten. Im Stillen mochte sie gedacht haben: Eine gute Klientin für ebendies würde sie schon abgeben, die Frau Life Science.

Es war nicht mal genug Kaffee im Teamzimmer da, geschweige denn Milch, weil das irgendjemand besorgen hätte müssen, und schwarz wie der Kaffee sah auch der Vertretungsplan aus: lauter kleingedruckte Namen von abwesenden Personen.

Jetzt erstmal Fantasiereise.

Aus rein kabarettistischem Interesse würde Frau Life Science so etwas ja gerne einmal miterleben. Wie oft die Tür aufginge, während man gedanklich auf der grünen Blumenwiese spazierte, welche Interessengruppe den Raum zugleich beanspruchen würden, wer überhaupt noch wüsste, dass er kommen wollte, wenn es soweit war, und welche Durchsage die Reise jäh beenden würde.

Frau Life Science macht an der Schule nur gelegentlich in der Pause Pause, und auch nur, weil sie davor oder danach oft Freistunden hat, die sie sich durch ihre Teilzeit erkauft hat. Ansonsten hat sie in den wenigen Pausen neben eventuellen Fantasiereisen folgendes zu tun:

– Aufsicht, wenn sie eingeteilt ist

– mit Schüler:innen unter vier Augen reden

– Essen

– Trinken

– aufs Klo gehen

– mit Kolleg:innen Absprachen treffen

– Kopieren

– ins analoge Postfach gucken und dort Gefundenes bearbeiten

– online nachschauen, ob sie heute ganz wirklich und auch nicht kurzfristig irgendwo vertreten muss

Noch bevor sie auch nur ansatzweise irgendwas von den Dingen erledigt hat, gongt’s. Aber ja, Fantasiereise, das wär’s.

3 Gedanken zu “Fantasielos

  1. Der Gedanke an Fantasiereisen in der großen Pause ist schon sehr k-u-r-i-o-s . Das ginge höchstens in etwas, das früher „Klassenstunde“ ging – und auch da braucht man entsprechende Rahmenbedingungen. Aber beim „Schulpersonal“ mag das anders sein 🙂 Warten wir mal ab, welche Idee als nächstes kommt.

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  2. … ich als Papa wäre ja schon heilfroh, wenn Unterricht gemäß Stundenplan stattfinden würde … und die Lehrer/Innen auch mal aufs Klo dürfen … und die Kinder aufs Klo wollen … und sich das nicht für zu Hause aufheben, weil es vor zu ekelig und kaputt ist.

    Grüße

    Gefällt 1 Person

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