Am Feiertag hatte Familie Life Science nichts vor, denn eine befreundete Familie hatte wegen Krankheit das Treffen abgesagt. Frau Life Science ist sowieso fast rund um die Uhr damit beschäftigt, Zusammenkünfte zu planen und zu organisieren, die zum Schluss wegen diverser Bakterien, wechselnden Viren und Parasiten gar nicht stattfinden.
An diesem 8. März war es ihr Glück. Im Internet stieß sie zufällig auf eine für Kinder empfohlene Ausstellung im nahegelegenen Dahlem. Es ging um Flechtwerke.
Das finden Sie nicht sehr spannend? Sie haben wohl keinen halb-autistischen Flechtfimmel und starren gerne minutenlang Gewebe aller Art an? Dann muss Frau Life Science das sehr bedauern. Sie verpassen da etwas.
Was ist schon Kino, was ist Wellness, wenn man sich eine Geflechtsausstellung ansehen kann?
Frau Life Science hätte da übrigens aus jüngeren Jahren auch noch ein paar Exponate beizusteuern; wie schade, dass sie nicht gefragt wurde. Die Obstschale aus Elektrokabeln ist schon recht ausgeblichen und verstaubt, steht aber immer noch auf dem Wohnzimmerschrank. Dasselbe gab es mit Wäscheleinen. Der eingearbeitete Stahldraht stach immer sehr schmerzhaft, wenn man damit arbeitete.
Schon im altehrwürdigen Treppenhaus des Museums setzt sich der Forschernachwuchs auf den Steinboden und sieht sich an, wie ein älterer Herr im an die Wand projizierten Video ein Korb flicht, gerade dreht er einen Weidenzweig um sich selbst und wickelt ihn um einen zuvor vorbereiteten Griff aus demselben Material. Das Herzmädchen setzt sich hinzu und die Kinder beobachten aneinandergelehnt den weiteren Aufbau des Korbes – solange, bis Frau Life Science die einträchtige Szene kaputtfotografiert.
Dann sehen sie sich gemeinsam in aller Ruhe die weiteren Exponate an. Filigrane Kunstwerke ohne erkennbaren praktischen Nutzen, präzise Nester aus tierischer Produktion und hochsolide Körbe für den Alltag.
Es gibt nichts, woraus man nicht etwas flechten könnte: Baumrinde, Tonbänder, Wurzeln, Papier, Stoff. Alle Kulturen flechten mit, alle Stile sind vertreten. Man kommt aus dem Bewundern gar nicht mehr heraus.
Das Herzmädchen möchte am liebsten mit dem nostalgischen Korb-Kinderwagen an durch die Mitte, aber den darf sie nicht anfassen, sie muss sich mit den fünf, sechs (!) Mitmachstationen begnügen.
Das Lachen der Kinder hallt dröhnend laut in dem hohen fast leeren Durchgangsraum, als sie im begehbaren Kunstwerk fangen spielen. Drei Menschen haben daran tagelang gearbeitet. Die Kinder scheinen einen Heidenspass zu haben, sind aber nicht (mehr) die Einzigen im Haus an diesem Morgen, darum ruft Frau Life Science zum Weitergehen. Es gibt schließlich noch mehr zum Anschauen.
Es war ein wunderschöner Museumsbesuch, und es tröstet Frau Life Science ungemein, dass in Zeiten von „Polykrise“ (was sie neulich gehört hat) es noch Menschen und Institutionen gibt, die Zeit und Geld haben, relativ überflüssige Geflechte liebevoll zu sammeln und zu ordnen, und dass diese wunderschöne Ausstellung für lachhafte paar Euro (Kinder sind sogar frei) noch bis ins Jahr 2024 zu sehen sein wird.
Zuhause machen sie einen Museumsrundgang durch die eigene Wohnung und finden in jedem Zimmer mehr Geflechte, als sie geglaubt haben.
https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/all-hands-on-flechten/
wow – das macht ja richtig Appetit für den Weg nach Dahlem.
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Ja! Es lohnt sich!
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„wie jemand einen Korb flicht“ was für ein schönes Deutsch. Hört man selten.
Aber ehrlich hatte ich beim Titel kurz gezuckt und las von Gefechts-Nerds … ei ei ei … Brille putzen
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