In der einstigen Kita von Forschernschwuchs lagen einmal Hör-CDs für Kinder aus – als Werbung. Der Titel hieß „Leo & Locke“ und es ging darin um das Familienleben und die Kinderfreundschaft einer gewissen Leo im heutigen Berlin. Die nachfolgenden Ausgaben der „Leo und Locke“-Serie durfte man dann gerne kaufen.
Die Einstiegsstory: Leo bekommt bald ein Brüderchen und ihre Eltern (Mutter Ärztin wie bei „Conni“, Vater Instrumentenbauer) ziehen nun in eine größere Wohnung im selben Haus. Ein Umzug – Krise und Chance, aus Kindersicht erzählt.
Dass diese fiktive Familie beim Umzug anstatt sich zu streiten, kopflos durch die Gegend zu rennen und das Kinder zu schimpfen lieber eine fröhlich-musikalische Akustiksession mit Umzugskisten und Nagelboxen veranstaltet – geschenkt. Ist ja ein Hörspiel und nicht die Realität.
Wo aber dieses „Berlin“ liegt, in dem man seine Wohnverhältnisse an seine familiäre Lebenssituation einfach anpasst und dabei gar noch den Stadtteil, ja sogar das Haus einfach beibehält, dieses Berlin liegt wohl direkt da, wo der Regenbogen im goldenen Topf endet. Das „realistisch“ aufgemachte Hörspiel ist eindeutig den Genre Märchen zuzuordnen. Und außerdem nervt‘s.
Frau Life Science jedenfalls kennt in ihrem Berlin eher Menschen, deren Lebensplanung vom aktuellen Mietmarkt relativ unbarmherzig ausgebremst wird. Die Nachbarin zum Beispiel will eine Patchworkfamilie gründen, die Teilnehmer dafür hätte sie parat, die Wohnung jedoch nicht, ebensowenig die entfernteste Aussicht darauf. Bleibt sie halt im ihrer überteuerten Zweizimmerwohnung in lässt das mit dem Patchwork.
Und Familie Life Science selbst? Sie steckt auch fest.
Frau Life Science war nun schon dreimal beim örtlichen Mieterverein, für den sie seit Jahren Beiträge zahlt, kam jedes Mal abgehetzt und nur so halb vorbereitet zum Termin, denn für solche Dinge gibt es im Familienleben ja gar kein Zeitbudget. Einmal hatte sie sogar das Herzmädchen dabei.
Es zeigte sich im Gespräch mit dem Fachpersonal: die Miete ist zu hoch, nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich, und die Finster sind zu schimmelig. Nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich.
Abmahnen und Totstellen spielt Familie Life Science nun schon seit Jahren mit ihrer Hausverwaltung. Fristen setzen, Mietminderung vorbehalten und dieser ganze Quatsch. Das haben sie alles größtenteils durch. Der nächste Schritt nach dem Totstellen der Hausverwaltung wäre nun der Rechtsweg zur Aufweckung quasi. Der Fensterrechtsweg und der Weniger-Miete-Rechtsweg. Anwaltskosten würde anscheinend der Verein übernehmen. So richtig kämpferisch wirken sie dort aber auch nicht.
„Rechtsweg? Extrem viel Schreibkram und tausend Termine. Schaffen wir das? Haben wir dafür Zeit?“, fragt der Lifescientist und möchte lieber Schimmelspray kaufen gehen. Und wahrscheinlich hat er wieder Recht.
Bliebe noch umziehen, aber das hat Frau Life Science ja schon angedeutet: Es gibt ja gar nix. Vom Wohnungsportal bekommt sie gelegentlich automatische Mails zu ihrer Sucheinstellung. Neulich schien es auf einmal so günstig, Frau Life Science hatte halt nur auf die 100er-Stellen, nicht auf die 1000er-Stellen der Euros geachtet.
Die Haus(nicht-)verwaltung von Familie live Science ist und bleibt das Letzte. Aber ehe sie die Straße, die Kita, die Schule, die Arbeitsstellen, den Fußballverein, die Kirchengemeinde nicht mehr fußläufig, fahrradstramplig oder bussitzig erreichen können, bleibt es so schimmlig und teuer wie es ist.
Und in ihrem persönlichen Hörspiel kommt halt dann nur das Pffft Pfffffft vom Schimmelspray und Bitte warten Sie bei der Hausverwaltungshotline. Auf Umzugskisten machen sie bis auf weiteres keine Percussion und keine Zukunftsmusik.
trauriger und enttäuschender Hintergrund aber toll geschrieben.
Hätte man damals als slogan für Berlin nicht „Arm aber sexy“ genommen, sondern „arm und schlecht bewohnbar“ … hätten wir genug Wohnungen.
Aber die, die sich solche Slogans ausdenken, haben meist ein hübsches Haus …
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