Rennen für den Frieden

Wieder Friedenslauf, wie jedes Jahr. Die ganze Schule mit all ihren Stufen, ihren Lehr- und Erziehungskörpern wackelt gegen 9:00 Uhr ans Brandenburger Tor.

Nach dem Startschuss läuft man entlang dem Flatterband 1,6 km so oft durch den Tiergarten, wie es die individuelle Motivation und Fitness zulässt und kassiert an einer Schleuse für jede Runde einen Stempel auf den Unterarm. Jubel, Applaus und ein paar liebevoll bekritzelte Filzstift-Plakate säumen einem den Weg.

Für jeden erlaufenen Stempel zahlen Eltern, Onkel, Tanten und sonstige Personen später einen vorher vereinbarten Betrag an die ausgerufene hoffentlich friedensstiftende Organisation.

Soweit der Plan. Um 7:15 Uhr treffen die Krankmeldungen bei Frau Life Science ein. Manche krank, mache von dem Eltern unter der Bezeichnung “krank” freigestellt wegen der sozialen Anforderung einer solchen Veranstaltung. Wobei, man weiß es nicht.

Bevor es losgeht, muss Frau Life Science, am Schultor war es ihr gerade wieder eingefallen, noch über den neuen TikTok-Trend sprechen. Der Senat hat via Schulleitung kommuniziert, dass hier für heute dringlich zu informieren sei. Um drei Ecken kam die Mail auch bei der Privatschule und bei der wegen Krankmeldungen ohnehin dauernd online wohnenden Klassenlehrerin rechtzeitig an. Und während die Institutionen noch ihre Emails sortieren, denkt sich TikTok sicher schon den neusten Streich aus. „Rape Day“ ist also heute nicht. Wie sag ich’s meinem Schüler/meiner Schülerin? Und kann man TikTok löschen?

“Laufen Sie auch mit?, Frau Life Science?” “Aber klar doch.” “Sind Sie eigentlich schnell?”, fragt die neue Anneliese. “Nein überhaupt nicht”. “Doch”, meint Annelieses neue Freundin, die schon länger an der Schule ist, für eine Lehrerin laufen Sie ganz schön schnell”. Als ob es um Schnelligkeit ginge… Das Kompliment aber nimmt Frau Life Science mit. Schnell für eine Lehrerin. Das ist lieb.

Unvergessen ist der Friedenslauf vom letzten Jahr. Irgendwo in der Staubwolke der tausenden laufenden Schulkinder, kam ein Mitschüler zu Fall, und suchte in Folge die Erste Hilfe-Station auf. Im dortigen Rettungswagen war kein Pflaster vorhanden. Die ganze Klasse kommt bis heute nicht drüber weg. Die hatten keine Pflaster!!

Frau Life Science denkt im Stillen, dass dies die Zukunft der Kinder sein wird: Die nicht gehaltenen Versprechen. Gewöhnt euch schon mal dran.

Der Einsatz beim Friedenslauf geht mit Überstunden einher, die man mangels Zeiterfassung nicht geltend machen kann. Geschenkt! Dass man aber auch die BVG-Karte selbst bezahlt, die man zur Begleitung/Beaufsichtigung der SchülerInnen während der Fahrt braucht, ist ebenso selbstverständlich. Einfach nicht nerven, Frau Life Science! Immer wegen der Teilzeit rumjammern und dann noch mit der Fahrkarte knausern, lass es einfach.

Frau Life Science läuft als schnelle Lehrerin 6 Runden, und das noch vor ihrem Hauptjob, der Betreuung ihrer eigenen Kinder am Nachmittag/Abend, wo sie auch noch einiges an Strecke machen wird (nur fehlen die Sponsoren und der Applaus an den Eckpunkten).

Sie läuft aus Spaß an der Freude, aber auch, um zu motivieren bei den SchülerInnen mit. Wenn die rennt, kann ich auch, sollen sie merken.

Vor der Schleuse am Ende der ersten Runde trifft sie Anneliese, und greift nach ihrer schwitzigen Hand. Sie wird noch fünf Runden schaffen, in ihrem Tempo, aber das weiß jetzt noch keiner. Der Sportlehrerin, die sie sehr mag, wird das später ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Und weil Anneliese es faustdick hinter den Ohren hat, holt sie ihre Rundenstempel immer beim selben langhaarigen jungen Südamerikaner ab.

Mit Hilfe kompetenter Schülerinnen trägt Frau Life Science noch in der S-Bahn zurück zur Schule die Ergebnisse zusammen und füllt die 25 Urkunden aus. Die gewissenhaften Schülerinnen killern die in der Hektik mal wieder falsch notieren Ziffern mit Frau Life Sciences Tintenkiller und dürfen als Dankeschön zum Schluss die Urkunden verteilen.

Die gelaufenen Runden ergeben in der Summe eine Stecke bis an die Ostsee, meint der Klassenerzieher. Zeitnah meldet Frau Life Science die Zahl stolz an die Eltern mit einer kurzen Info über den gelungenen Tag. Dass da kein Dankeschön zurückkommt, ist sie gewohnt.

Zuhause neidet ihr das Herzmädchen die schicken Stempel auf dem Arm.

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