Unalltag 18

In der kirchlichen Jugendarbeit gab es  früher im Dorf zu Weihnachten immer das „Wichteln“. Man wurde per Los einem „Wichtelpartner“ zugeordnet und wer es genau war, unterlag der Geheimhaltung. Bis zum Christfest musste man der ausgelosten Person wöchentlich eine Aufmerksamkeit zukommen lassen – und dabei möglichst unerkannt bleiben. Am Wohnhaus klingeln und wegrennen war ein besonders beliebter Weg der kontaktlosen Lieferung (inklusive hinterherrennen) aber auch etwas ans Fahrrad binden oder in den Briefkasten werfen war legitim. Hauptsache, man lief dem Empfänger nicht persönlich über den Weg, sonst wäre man ja aufgeflogen.

Innerhalb der Familie von Frau Life Science wurde „Wichteln“ über die Jahre zum geflügelten Wort für „kontaktloses Liefern“.
„Du hast deinen Pulli bei mir vergessen? – Ich wichtele ihn dir!“ Oder: „Wir waren gerade in der Nähe und haben dir eine Kiste selbst angebaute Zucchini gewichtelt.“

Es ist zwar nicht Weihnachten, aber momentan ist definitiv Wichtelzeit. Was immer man mit anderen austauscht, man tut es indirekt. Sogar die Paketdienste wichteln mittlerweile.

Wem haben Sie schon etwas gewichtelt?

Die Kontaktsperre macht sich nach fast zwei Wochen offenbar statistisch bemerkbar. Wäre ja noch schöner, wenn nicht. „Ich habe gerade 600 Euro für mein neues  I-Phone ausgegeben. Stell dir vor: das Gerät funktioniert!!!!!“ (Natürlich freut sich auch Frau Life Science über die Zahlen…)
Was ist eigentlich mit der Woche ab 16. März, als Schule und und Kitas schlossen und junge Menschen in eine unstrukturierte Freizeit und Freiheit entlassen, quasi direkt in die Corona-Party geschickt wurden? Diese eine Woche, in der nach und nach Geschäfte dicht machen mussten und Restaurants so einen komischen Tagesbetrieb mit auseinandergerückten Tischen und aufgeschriebenen Besucher-Adressen bewerkstelligen sollten? Wo man noch zum Frisör konnte?
Diese Woche macht sich offenbar nicht statistisch bemerkbar – außer in dem Schaden, den sie zu ihrer Zeit auch schon verursacht hat. Quasi ein Medikament, das nur Nebenwirkungen hat, aber keine Wirkung. Top!

Lichterfelde hat die Kinder weggesperrt. Es ist gespenstisch.
Ja, die Kids sollen nicht auf die Rutsche husten. Verstanden! Aber sich in einem nicht überbevölkerten Stadtteil mal eine Stunde auf Gehweg oder Radweg in verteilter Weise bewegen, ist weder verboten, noch gefährlich (also, Radwege in Berlin sind schon gefährlich, aber nicht wegen Corona). Man darf spazieren gehen! Man darf Sport machen! Sport ist sehr vielfältig. Wer sagt denn, dass Tannenzapfen auflesen nicht olympische Disziplin werden kann?
Die Lichterfelder Kinder hängen am Bildschirm – die überwiegende Wachzeit ihres Unalltages. Anders kann sich Frau Life Science deren Abwesenheit im öffentlichen Raum nicht erklären. Solange die Eltern versuchen, irgendein improvisiertes Home Office zu bewältigen, können sie schlecht mit den Kindern rausgehen. Manche haben sicher auch Angst und denken, das Virus springe sie von weitem an wie ein Floh. Oder die Kinder wollen nicht mehr raus, weil sie selber Angst haben. Auch das hat Frau Life Science schon im Bekanntenkreis gehört.

Frau Life Science empfiehlt: Mit Kindern rausgehen – unbedingt!  Und danach Bildschirm an. Und davor. Denn wer möchte sich anmaßen, diese Krise ohne Kinder-Tablet zu überstehen?

„Zuversicht to go“ – Die örtliche Kirchengemeinde reagiert auf die Corona-Krise. Die Frage ist nur: ist das jetzt ein OFFLINE oder ON-LINE-Angebot?

3 Gedanken zu “Unalltag 18

  1. Wichteln ist hier auch im Schwange. Wollreste für die Quarantäne Decke, Milch, Eier usw. Hier sind die Kinder glücklicherweise auf der Straße. Hab heute den Begriff Umkehrisolation gelesen. Ob wir darauf zusteuern?

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    1. Ich weiß es nicht. Ich habe nicht die Fähigkeiten, das alles zu überblicken. Bin bereit, an allem Nötigen mitzuwirken, fast egal, was. Aber an der Sinnhaftigkeit eines Lockdowns, der sehr viel länger als der 20. April dauern würde, hätte ich erhebliche Zweifel.

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