Phönix

Die Isolationszeit war auch eine spezielle Erfahrung. Eine, von der die Familie bisher unverdienterweise verschont geblieben war. Aber immer Bammel hatte.

Wenn der Lagerkoller lauert… Zum komplett unerfüllten Ruhebedürfnis – man ist ja selber krank – kommen die eintönigen Tagesläufe, die nicht enden wollende Unordnung (mehr Personen länger zuhause und alle erschöpft = Chaos hoch drei im Haushalt) und nicht zuletzt das Angewiesensein auf Hilfe.

Die Babysitterin bringt Einkäufe. Beim ersten Mal steht Schokolade auf dem Einkaufszettel, beim zweiten Mal wieder und ahnungsvoll werden daraufhin zwei große Tafeln angeliefert. Beim dritten Einkauf schreiben die ans Haus gefesselten die genannte Position nicht mehr auf, weil sie Angst haben, auf die Frage „Wollt ihr darin baden?“ mit innerlicher Anwendung begründen müssen.

Dem Forschernachwuchs gelingt in dieser Zeit sein Romandebüt. Den ersten Satz schreibt er eigenhändig in Großbuchstaben von der erbetenen Schreibvorlage ab, aus Gründen der Arbeitsökonomie geht er bald in die reine Diktatform über, wozu hat man Eltern.

Interessant aber ist der Inhalt des Erstlings. Bei einem guten Buch kommt es bekanntlich auf den ersten Satz an:

„Es war einmal ein einsames Kind.“

Wie gut, dass das einsame Kind, dessen Ähnlichkeit mit lebenden Personen zufällig scheint, ein anderes einsames Kind trifft, sie sich ohne Umschweife anfreunden und die restliche Handlung sich dann auf ein Drachenabenteuer fokussiert, wobei Abenteuer relativ ist, sie machen hauptsächlich irgendwo Rast.

Einzige Abwechslung am Tag, vom Abtauchen in kindliche Romanwelten abgesehen, und einzige staatlich legitimierte Spaziermöglichkeit: Ausflüge zur Schnellteststelle. Dieser Vorgang lässt sich gut ritualisieren, denn so zuverlässig wie diese Antigentests Omikron in den ersten 1-2 Tagen der Symptomatik NICHT nachweisen, so zuverlässig schlagen sie dann an, wenn Sie denken: „jetzt ist dann mal gut“.

Eine Shisha-Bar namens Phönix, die auch sonntagmorgens geöffnet hat und neuerdings in Antigentests macht, verschafft ihnen den Befreiungsschlag: endlich alle und und nicht nur manche Familienmitglieder negativ. Auf zum Streichelzoo!

Die Übertragung quasi hoheitlicher Aufgaben an Shisha-Bars und ähnliche Institutionen stellt aus Sicht von Frau Life Science ein humoristischer Höhepunkt in der Pandemie dar. Hätte man ihr vor ein paar Jahren gesagt, ihr Kind müsse vor dem Kita-Besuch in einer Shisha-Bar gesundheitlich untersucht werden, hätte sie schallend gelacht. Soll aber nicht heißen, dass die biodeutsche Apotheke am Eck irgendwie seriöser daherkäme: Diese halbierte Kindertischtennisplatte, aufgestellt im schlampig mit Leintüchern verhängten Materiallager, und mittels darunter gemauerten Lieferkisten auf Arbeitshöhe gebracht, wirkt im Gesamtaufbau nicht minder lachhaft.

Es lag schon immer eine gewisse Fallhöhe in der allgemeinen Testaktivität und Frau Life Science erinnert sich auch gerne an die eine Episode in der Pandemie, als der laborgruppenleitende Lifescientist von seiner Frisörin bescheinigt bekam, dass er seinen Antigentest korrekt durchgeführt hatte. Nichts gegen die Frisörin!

Jedenfalls sind sie seit Sonntag frei. Nach Abschluss der Omikron-Phase das Gefühl von dringender Reha-Bedürftigkeit bei Frau Life Science. Sie ist irgendwie fertig. Ob wegen des Virus, wegen der Isolation oder generell dem Muttersein, wer kann das schon sagen.

Aber auch neue Perspektiven tun sich auf: Eine Schattenfamilie tritt ins Licht, falls sie überhaupt je eine waren (echte Schattenfamilien verzichten vermutlich auf Kita und somit auf Infektion). Der öffentliche Nahverkehr steht wieder vollumfänglich und ohne schlechtes Gewissen zur Verfügung. Wen laden wir zum Playdate ein? Es war einmal ein Kind, das Besuch hatte. Mittagstisch im Mehrgenerationenhaus ist auch problemlos möglich, geboosterte Seniorinnen winken dem Herzmädchen zu.

Was für den Besuch des Hauses erforderlich ist, weist Frau Life Science am Tresen gerne nach, was ihr jedoch die innere Freiheit gibt, möchte gar keiner wissen: ihrer aller Genesung.

Es tut gut mit dem Mittagstisch, denn Frau Life Science mag nicht kochen und über den fehlenden Geschmack sieht sie einfach mal hinweg. Am Koch liegt es sicher nicht.

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